Marlene Lahmer

Viktoria Weber

Josephine Huber

Michelle Seidl

Mai Ling. NOT YOUR ORNAMENT (Rückblick)

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Bild 1-2: Ausstellungsansichten, Mai Ling. NOT YOUR ORNAMENT, Secession 2023, Credits: Iris Ranzinger

Bild 3-4: Becoming Stickiness, 2023, Filmstills, Credits: Mai Ling

Bild 5-6: Ausstellungsansichten, Mai Ling. NOT YOUR ORNAMENT, Secession 2023, Credits: Iris Ranzinger

Marlene Lahmer

VORWORT – Im Herbst 2023 haben unsere Redakteurinnen Viktoria Weber, Josephine Huber und Michelle Seidl die Ausstellung Mai Ling. NOT YOUR ORNAMENT besucht und über die vielfältigen Bezüge des Künstler*innenkollektivs – von Ornamentik und Othering bis hin zu Migration und Biopolitik – geschrieben.

Gewöhnlich erscheinen unsere Artikel während der Laufzeit einer Ausstellung, doch die Resonanz zu Mai Ling konnte damals aufgrund technischer Probleme unserer Website nicht veröffentlicht werden. Da die Themen und Ästhetiken jedoch nicht an Aktualität verloren haben, holen wir diese Texte aus der Schublade, um euch die Ausstellung nochmal in Erinnerung zu rufen.

Mai Ling ist ein Künstlerinnenkollektiv mit anonymen Mitgliedern, das sich der Aufarbeitung von migrantischer Erfahrung und rassistisch-sexistischer Stereotypisierung von FLINT Personen aus der südostasiatischen Diaspora verschrieben hat. Seit 2019 arbeiten sie in und um Wien – mit künstlerischen Praktiken von Widerstand, Fürsorge und Heilung.

Viktoria Weber

Im Zuge der Venedig Biennale 2022 verbildlichten die Künstlerinnen Kristina Norman (*1979) und Bita Razavi (*1983) als estnische Kontribution für den Rietveld Pavillon im Zuge der Ausstellung Orchidelirium. An Appetit for Abundance die Verbindungen zwischen Kolonialismus und Botanik anhand der estnischen Künstlerin Emilie Rosalie Saal (1871-1954) mithilfe einer raumgreifenden Multimediainstallation. Mai Ling denkt diese Verbindungen weiter und ergänzt sie um die rassifizierte und vergeschlechtlichte Theorie des Ornamentalismus. Anstatt wie ihre Kolleginnen die Kausalitäten anhand der populären Zierblume Orchidee darzustellen, nutzt das Kollektiv die Historie der asiatischen Kudzu-Pflanze, die erst als Zierpflanze, dann als invasiver Schädling galt und heute in vielen Ländern verboten ist, für ihre Narration. Somit lädt das Ausstellungskonzept NOT YOUR ORNAMENT des multihybriden Künstler*innenkollektivs auf eine Reise ein, die den hegemonial-patriarchalen Blick auf Körper und Pflanzen in Frage stellt. 

Im ersten Ausstellungsteil eröffnet sich dem Publikum die Zweikanal-Videoinstallation Becoming Stickiness, die gegenüberliegende Wände bespielt und somit gewohnte Sehgewohnheiten herausfordert. Die Klebrigkeit der Kudzu-Pflanze wird zum einen als unerwünschte Lästigkeit und gleichzeitig Solidaritätsmoment à la „sticking together“ parallel zu Migrationserfahrungen verstanden. Diese Referenz verstärkt sich durch die fließend-performative Darstellung asiatischer Körper als Teil der Pflanze selbst im Rahmen der Videoarbeit. Der letzte Raum illustriert die zeitgenössischen Verstrickungen zwischen Kolonialismus und Alltagsleben, indem unterschiedlichste Zierpflanzen von Ficus elastica bis Dracaena sanderiana und mit diesen die Vielstimmigkeit von Mai Ling zur Sprache kommen. Zeitgleich schmücken ornamentale Wandtapeten den Raum und untermalen die Parallele zwischen humaner und botanischer Erfahrung weiter. Die Sinnlichkeit des Ausstellungsraums fußt im rosafarbenen Infrarotlicht, für das Überleben der Pflanzen unabdingbar, sowie in der Haptik der Pflanzen und ihres Nährbodens im white cube.

Die Ausstellung NOT YOUR ORNAMENT besticht vor allem durch ihren ortsspezifischen Charakter. So deklariert bereits Adolf Loos in seiner populären Streitschrift Österreich per se als „Wiege der Ornament-Seuche“1. Die Verflechtungen zwischen Jugendstil, Ornamentik und Naturdarstellungen sind ubiquitär, formuliert sich doch das geometrische Ornament als Abstraktion der Natur. Eine Ausstellung, die den Vergleich des Ornaments als Schmuck ohne narrative Bedeutung, mit der gelebten Erfahrung (nicht nur) asiatischer Frauen als dekoratives Accessoire suggeriert, ist demnach insbesondere in der Secession wirkmächtig. So illustriert die Schau die kunsthistorische Zeitgeschichte der Avantgarde von einer dekorativen Vergangenheit zu einer dekonstruierenden Gegenwart.

1 Loos, Adolf: Ornament und Verbrechen, in: Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts,

zsm.-gestellt und komm. v. Ulrich Conrads, 2. Nachdruck, Gütersloh/Berlin 2013, S. 17.

Josephine Huber

Seitdem in der Corona Pandemie asiatisch gelesene Personen verstärkt Opfer von rassistischen Angriffen wurden, ist der breiten Öffentlichkeit die Realität der Diskriminierung von Asiat*innen bewusst geworden. Mit dem Film everything everywhere all at once, der sieben Oscars gewann, erfuhr erstmals die Geschichte asiatischer Migrant*innen in Amerika Anerkennung. Für ihre Ausstellung NOT YOUR ORNAMENT in der Secession haben Mai Ling die Realität von asiatischen Migrant*innen anhand von Botanik und in Bezugnahme auf die Geschichte der Secession, die als Wiege des Jugendstils verehrt wird, für das Wiener Publikum aufbereitet.

Der Schriftzug am Eingang zur Ausstellung greift die Typografie über dem Portal der Secession auf und ist mit Schleim überzogen. Damit sind zwei wesentliche Bezugspunkte, die Theorie des Ornamentalismus und der Klebstoff der Kudzu-Pflanze als Symbol der Selbstermächtigung, visualisiert. Die drei Ausstellungsräume zeigen die Bandbreite des künstlerischen Schaffens des Kollektivs. Die Zweikanal-Videoinstallation Becoming Stickiness erzählt die Geschichte der Kletterpflanze Kudzu, die aus Japan nach Europa als exotische Zierpflanze und Luxusgut importiert wurde, schnell aber zum Schädling wurde, da sie sich tief verwurzelt und schnell verbreitet. Die Pflanze Kudzu dient als Sinnbild für den Ornamentalismus, der den Zustand der Diasporant*innen aus dem asiatischen Raum beschreibt. Denn vor allem asiatischen Frauen wird zugeschrieben, zurückhaltend und exotisch schön zu sein, womit sie zum  Dekoelement objektifiziert werden. Die Realität dieser Objektifizierung zeigt der von Mai Ling in einem Video verarbeitete Sketch von Gerhard Polt, in dem der Kabarettist sexistische Vorurteile gegenüber asiatischen Frauen reproduzierte und von dem das Kollektiv seinen Namen genommen hat. Kudzu dient, wie ein gewählter Textausschnitt in der Ausstellungspublikation verständlich macht, auch als Sinnbild für Xenophobie – Fremdenangst, die von rechtspopulistischen Parteien instrumentalisiert wird. Laut dieser Argumentation würden durch Zuwanderung und rapider Fortpflanzung von Migrant*innen die eigene Bevölkerung und Kultur verdrängt werden. Damit ist Kudzu auch Sinnbild dafür, dass Migrant*innen nur willkommen sind, solange sie ein Bedürfnis, wie auch heute beim Fachkräftemangel, erfüllen. Aber sobald sie eine echte Teilhabe in der Gesellschaft fordern, wird dies als Identitätspolitik abgewehrt.

Die anonymen Mitglieder von Mai Ling wollen sich durch ihre Plattform dieser Realität entgegenstellen. Dafür beugen sie sich nicht der westlichen Kunsttradition, die individuelle Künstler*innen als Autoren singulärer Werke verehrte. Denn mit Ornamentalismus ist auch ein Bezug zum kunsthistorischen, philosophischen Diskurs um das Ornament intendiert. Während die Jugendstilbewegung das Ornament zur Auflösung von Gattungshierarchien nutzte und sich dabei aus dem Formenschatz vieler Kulturen bediente, wurde es in der Moderne als oberflächlich und überflüssig abgewertet. Dabei wurde lange übersehen, dass dieser Diskurs auch mit Geschlechterdiskriminierung und Rassismus zusammenhing, da nicht-westliche Kunst als Handwerk herabgestuft und Frauen auf die Ausübung dieses Metiers beschränkt wurden. Der Text von Anne Anlin Cheng Ornamentalismus zeigte diese Tatsache auf und Mai Ling thematisiert mit ihrer Ausstellung den Eurozentrismus dieses kanonischen kunsthistorischen Diskurses.

Mai Ling greifen auch durch ihr großformatiges Gruppenbild, auf dem sie durch Blättermasken ihre Identitäten verschleiern, das bekannte historische Foto der ersten Secession um Gustav Klimt auf. Dabei behalten sie bewusst ihre Anonymität bei, um sich von ihrem objektifizierten Zustand zur Selbstermächtigung zu verhelfen. Ihre Ausstellung ist auch ein Angebot zur Partizipation, denn eine Leseecke bietet die Möglichkeit, sich vor Ort mit den angesprochenen Themen auseinanderzusetzen. Das wird erweitert durch ein Kunstvermittlungsprogramm, mit dem Mai Ling Führungen auf verschiedenen asiatischen Sprachen anbieten,  so den Adressatenkreis der Kunstinstitution erweitert und vor allem den Betroffenen von anti-asiatischem Rassismus eine Hilfestellung zur Selbstermächtigung bieten.

Michelle Seidl

Die typographische Aneignung und Verdoppelung des Schriftzugs über dem Portal der Secession in den Eingang der Ausstellung NOT YOUR ORNAMENT des Künstler*innenkollektivs Mai Ling liefert einen ersten Hinweis auf die suggerierte Ortsspezifizität, die sich durch den immer wiederkehrenden Bezug auf den ornamentalen Jugendstil des Wiener Gebäudes ergibt. Der Schriftzug von Mai Ling ist allerdings mit Schleim benetzt, schmutzig, „sticky“, und bildet damit den Auftakt zur Videoinstallation Becoming Stickiness, die die asiatische Kletterpflanze Kudzu zum Ausgangspunkt nimmt, um auf die paradoxe Ambivalenz von Anziehung und Abstoßung hinzuweisen, mit der Asiat*innen in der westlichen Diaspora konfrontiert sind: Zuerst als dekorative Zierpflanze nach Europa importiert, wurde die Kudzu-Pflanze schnell aufgrund ihres invasiven Wachstums als schädlich eingestuft und in einigen Ländern verboten. Diese Spannung aus dem visuell-dekorativen Genuss, den die ostasiatische Pflanze bietet, sowie ihrer hartnäckigen „Klebrigkeit“ stößt eine Reflexion rund um Erwartungshaltungen gegenüber Asiat*innen an. Die der Pflanze inhärente „stickiness" wird innerhalb der Videoarbeit als metaphorischer Hinweis auf den Zusammenhalt und die Gemeinschaftsbildung von Menschen, die in der Diaspora leben, konzeptualisiert und damit zu einer widerständigen Geste der Selbstermächtigung.

Pflanzen bilden ein wiederkehrendes Motiv in der Ausstellung: Auch die Wände sind mit ornamentalen Rankenmotiven geschmückt, und der letzte Ausstellungsraum versammelt ein Ensemble an verschiedenen Pflanzenarten, eingetaucht in für diese lebensnotwendiges Rotlicht, was in einem durchaus sinnlich-ästhetisch ansprechenden Effekt resultiert. Die Schau fordert auch tradierte Vorstellungen vom Ornament innerhalb der Kunsttheorie heraus. Als Kunstgattung wurde das Ornament vor allem als Schmuck betrachtet, wobei die visuelle Form gegenüber einem möglichen narrativ-reflexiven Inhalt privilegiert wurde. In der industrialisierten Moderne aber wurde das Ornament verdrängt und als Zeichen von Rückständigkeit abgewertet. Adolf Loos, der eine brennende Aversion gegen das Ornament hegte, betrachtete es bekanntermaßen als Symbol von Regression und dem triebhaft Unkontrollierten. Der kunsttheoretische Diskurs um das Ornament war nicht zuletzt auch geschlechtsspezifisch: Ornament und Weiblichkeit wurden als Synonyme des Minderwertigen, Primitiven abgewertet. Das wiederkehrende Pflanzenmotiv in Mai Lings Ausstellung wird zur Allegorie auf die auch zeitgenössische Realität der kapitalistischen ökologischen Entfremdung, die wiederum die eurozentrische Verklärung von als „primitiv“ verstandenen Völkern als Effekt hatte. Vor diesem Hintergrund erschöpft sich das Ornamentale in NOT YOUR ORNAMENT nicht in dessen ortsspezifischem und ästhetisch-dekorativem Einsatz, sondern wird als Denkfigur produktiv, die das Ornamentale in einem Dispositiv aus Macht- und Ausschlussmechanismen verortet und damit hochaktuelle Reflexionen über rassistische und sexistische Stereotype aufwirft.

Übrigens, aktuell ist Mai Ling Teil der Ausstellung Ugly Things_Unlearning Beauty / Schirche Sachen_Schönheit verlernen im Queer Museum Vienna – noch bis 14.12.2025.

Marlene Lahmer

VORWORT – Im Herbst 2023 haben unsere Redakteurinnen Viktoria Weber, Josephine Huber und Michelle Seidl die Ausstellung Mai Ling. NOT YOUR ORNAMENT besucht und über die vielfältigen Bezüge des Künstler*innenkollektivs – von Ornamentik und Othering bis hin zu Migration und Biopolitik – geschrieben.

Gewöhnlich erscheinen unsere Artikel während der Laufzeit einer Ausstellung, doch die Resonanz zu Mai Ling konnte damals aufgrund technischer Probleme unserer Website nicht veröffentlicht werden. Da die Themen und Ästhetiken jedoch nicht an Aktualität verloren haben, holen wir diese Texte aus der Schublade, um euch die Ausstellung nochmal in Erinnerung zu rufen.

Mai Ling ist ein Künstlerinnenkollektiv mit anonymen Mitgliedern, das sich der Aufarbeitung von migrantischer Erfahrung und rassistisch-sexistischer Stereotypisierung von FLINT Personen aus der südostasiatischen Diaspora verschrieben hat. Seit 2019 arbeiten sie in und um Wien – mit künstlerischen Praktiken von Widerstand, Fürsorge und Heilung.

Viktoria Weber

Im Zuge der Venedig Biennale 2022 verbildlichten die Künstlerinnen Kristina Norman (*1979) und Bita Razavi (*1983) als estnische Kontribution für den Rietveld Pavillon im Zuge der Ausstellung Orchidelirium. An Appetit for Abundance die Verbindungen zwischen Kolonialismus und Botanik anhand der estnischen Künstlerin Emilie Rosalie Saal (1871-1954) mithilfe einer raumgreifenden Multimediainstallation. Mai Ling denkt diese Verbindungen weiter und ergänzt sie um die rassifizierte und vergeschlechtlichte Theorie des Ornamentalismus. Anstatt wie ihre Kolleginnen die Kausalitäten anhand der populären Zierblume Orchidee darzustellen, nutzt das Kollektiv die Historie der asiatischen Kudzu-Pflanze, die erst als Zierpflanze, dann als invasiver Schädling galt und heute in vielen Ländern verboten ist, für ihre Narration. Somit lädt das Ausstellungskonzept NOT YOUR ORNAMENT des multihybriden Künstler*innenkollektivs auf eine Reise ein, die den hegemonial-patriarchalen Blick auf Körper und Pflanzen in Frage stellt. 

Im ersten Ausstellungsteil eröffnet sich dem Publikum die Zweikanal-Videoinstallation Becoming Stickiness, die gegenüberliegende Wände bespielt und somit gewohnte Sehgewohnheiten herausfordert. Die Klebrigkeit der Kudzu-Pflanze wird zum einen als unerwünschte Lästigkeit und gleichzeitig Solidaritätsmoment à la „sticking together“ parallel zu Migrationserfahrungen verstanden. Diese Referenz verstärkt sich durch die fließend-performative Darstellung asiatischer Körper als Teil der Pflanze selbst im Rahmen der Videoarbeit. Der letzte Raum illustriert die zeitgenössischen Verstrickungen zwischen Kolonialismus und Alltagsleben, indem unterschiedlichste Zierpflanzen von Ficus elastica bis Dracaena sanderiana und mit diesen die Vielstimmigkeit von Mai Ling zur Sprache kommen. Zeitgleich schmücken ornamentale Wandtapeten den Raum und untermalen die Parallele zwischen humaner und botanischer Erfahrung weiter. Die Sinnlichkeit des Ausstellungsraums fußt im rosafarbenen Infrarotlicht, für das Überleben der Pflanzen unabdingbar, sowie in der Haptik der Pflanzen und ihres Nährbodens im white cube.

Die Ausstellung NOT YOUR ORNAMENT besticht vor allem durch ihren ortsspezifischen Charakter. So deklariert bereits Adolf Loos in seiner populären Streitschrift Österreich per se als „Wiege der Ornament-Seuche“1. Die Verflechtungen zwischen Jugendstil, Ornamentik und Naturdarstellungen sind ubiquitär, formuliert sich doch das geometrische Ornament als Abstraktion der Natur. Eine Ausstellung, die den Vergleich des Ornaments als Schmuck ohne narrative Bedeutung, mit der gelebten Erfahrung (nicht nur) asiatischer Frauen als dekoratives Accessoire suggeriert, ist demnach insbesondere in der Secession wirkmächtig. So illustriert die Schau die kunsthistorische Zeitgeschichte der Avantgarde von einer dekorativen Vergangenheit zu einer dekonstruierenden Gegenwart.

1 Loos, Adolf: Ornament und Verbrechen, in: Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts,

zsm.-gestellt und komm. v. Ulrich Conrads, 2. Nachdruck, Gütersloh/Berlin 2013, S. 17.

Josephine Huber

Seitdem in der Corona Pandemie asiatisch gelesene Personen verstärkt Opfer von rassistischen Angriffen wurden, ist der breiten Öffentlichkeit die Realität der Diskriminierung von Asiat*innen bewusst geworden. Mit dem Film everything everywhere all at once, der sieben Oscars gewann, erfuhr erstmals die Geschichte asiatischer Migrant*innen in Amerika Anerkennung. Für ihre Ausstellung NOT YOUR ORNAMENT in der Secession haben Mai Ling die Realität von asiatischen Migrant*innen anhand von Botanik und in Bezugnahme auf die Geschichte der Secession, die als Wiege des Jugendstils verehrt wird, für das Wiener Publikum aufbereitet.

Der Schriftzug am Eingang zur Ausstellung greift die Typografie über dem Portal der Secession auf und ist mit Schleim überzogen. Damit sind zwei wesentliche Bezugspunkte, die Theorie des Ornamentalismus und der Klebstoff der Kudzu-Pflanze als Symbol der Selbstermächtigung, visualisiert. Die drei Ausstellungsräume zeigen die Bandbreite des künstlerischen Schaffens des Kollektivs. Die Zweikanal-Videoinstallation Becoming Stickiness erzählt die Geschichte der Kletterpflanze Kudzu, die aus Japan nach Europa als exotische Zierpflanze und Luxusgut importiert wurde, schnell aber zum Schädling wurde, da sie sich tief verwurzelt und schnell verbreitet. Die Pflanze Kudzu dient als Sinnbild für den Ornamentalismus, der den Zustand der Diasporant*innen aus dem asiatischen Raum beschreibt. Denn vor allem asiatischen Frauen wird zugeschrieben, zurückhaltend und exotisch schön zu sein, womit sie zum  Dekoelement objektifiziert werden. Die Realität dieser Objektifizierung zeigt der von Mai Ling in einem Video verarbeitete Sketch von Gerhard Polt, in dem der Kabarettist sexistische Vorurteile gegenüber asiatischen Frauen reproduzierte und von dem das Kollektiv seinen Namen genommen hat. Kudzu dient, wie ein gewählter Textausschnitt in der Ausstellungspublikation verständlich macht, auch als Sinnbild für Xenophobie – Fremdenangst, die von rechtspopulistischen Parteien instrumentalisiert wird. Laut dieser Argumentation würden durch Zuwanderung und rapider Fortpflanzung von Migrant*innen die eigene Bevölkerung und Kultur verdrängt werden. Damit ist Kudzu auch Sinnbild dafür, dass Migrant*innen nur willkommen sind, solange sie ein Bedürfnis, wie auch heute beim Fachkräftemangel, erfüllen. Aber sobald sie eine echte Teilhabe in der Gesellschaft fordern, wird dies als Identitätspolitik abgewehrt.

Die anonymen Mitglieder von Mai Ling wollen sich durch ihre Plattform dieser Realität entgegenstellen. Dafür beugen sie sich nicht der westlichen Kunsttradition, die individuelle Künstler*innen als Autoren singulärer Werke verehrte. Denn mit Ornamentalismus ist auch ein Bezug zum kunsthistorischen, philosophischen Diskurs um das Ornament intendiert. Während die Jugendstilbewegung das Ornament zur Auflösung von Gattungshierarchien nutzte und sich dabei aus dem Formenschatz vieler Kulturen bediente, wurde es in der Moderne als oberflächlich und überflüssig abgewertet. Dabei wurde lange übersehen, dass dieser Diskurs auch mit Geschlechterdiskriminierung und Rassismus zusammenhing, da nicht-westliche Kunst als Handwerk herabgestuft und Frauen auf die Ausübung dieses Metiers beschränkt wurden. Der Text von Anne Anlin Cheng Ornamentalismus zeigte diese Tatsache auf und Mai Ling thematisiert mit ihrer Ausstellung den Eurozentrismus dieses kanonischen kunsthistorischen Diskurses.

Mai Ling greifen auch durch ihr großformatiges Gruppenbild, auf dem sie durch Blättermasken ihre Identitäten verschleiern, das bekannte historische Foto der ersten Secession um Gustav Klimt auf. Dabei behalten sie bewusst ihre Anonymität bei, um sich von ihrem objektifizierten Zustand zur Selbstermächtigung zu verhelfen. Ihre Ausstellung ist auch ein Angebot zur Partizipation, denn eine Leseecke bietet die Möglichkeit, sich vor Ort mit den angesprochenen Themen auseinanderzusetzen. Das wird erweitert durch ein Kunstvermittlungsprogramm, mit dem Mai Ling Führungen auf verschiedenen asiatischen Sprachen anbieten,  so den Adressatenkreis der Kunstinstitution erweitert und vor allem den Betroffenen von anti-asiatischem Rassismus eine Hilfestellung zur Selbstermächtigung bieten.

Michelle Seidl

Die typographische Aneignung und Verdoppelung des Schriftzugs über dem Portal der Secession in den Eingang der Ausstellung NOT YOUR ORNAMENT des Künstler*innenkollektivs Mai Ling liefert einen ersten Hinweis auf die suggerierte Ortsspezifizität, die sich durch den immer wiederkehrenden Bezug auf den ornamentalen Jugendstil des Wiener Gebäudes ergibt. Der Schriftzug von Mai Ling ist allerdings mit Schleim benetzt, schmutzig, „sticky“, und bildet damit den Auftakt zur Videoinstallation Becoming Stickiness, die die asiatische Kletterpflanze Kudzu zum Ausgangspunkt nimmt, um auf die paradoxe Ambivalenz von Anziehung und Abstoßung hinzuweisen, mit der Asiat*innen in der westlichen Diaspora konfrontiert sind: Zuerst als dekorative Zierpflanze nach Europa importiert, wurde die Kudzu-Pflanze schnell aufgrund ihres invasiven Wachstums als schädlich eingestuft und in einigen Ländern verboten. Diese Spannung aus dem visuell-dekorativen Genuss, den die ostasiatische Pflanze bietet, sowie ihrer hartnäckigen „Klebrigkeit“ stößt eine Reflexion rund um Erwartungshaltungen gegenüber Asiat*innen an. Die der Pflanze inhärente „stickiness" wird innerhalb der Videoarbeit als metaphorischer Hinweis auf den Zusammenhalt und die Gemeinschaftsbildung von Menschen, die in der Diaspora leben, konzeptualisiert und damit zu einer widerständigen Geste der Selbstermächtigung.

Pflanzen bilden ein wiederkehrendes Motiv in der Ausstellung: Auch die Wände sind mit ornamentalen Rankenmotiven geschmückt, und der letzte Ausstellungsraum versammelt ein Ensemble an verschiedenen Pflanzenarten, eingetaucht in für diese lebensnotwendiges Rotlicht, was in einem durchaus sinnlich-ästhetisch ansprechenden Effekt resultiert. Die Schau fordert auch tradierte Vorstellungen vom Ornament innerhalb der Kunsttheorie heraus. Als Kunstgattung wurde das Ornament vor allem als Schmuck betrachtet, wobei die visuelle Form gegenüber einem möglichen narrativ-reflexiven Inhalt privilegiert wurde. In der industrialisierten Moderne aber wurde das Ornament verdrängt und als Zeichen von Rückständigkeit abgewertet. Adolf Loos, der eine brennende Aversion gegen das Ornament hegte, betrachtete es bekanntermaßen als Symbol von Regression und dem triebhaft Unkontrollierten. Der kunsttheoretische Diskurs um das Ornament war nicht zuletzt auch geschlechtsspezifisch: Ornament und Weiblichkeit wurden als Synonyme des Minderwertigen, Primitiven abgewertet. Das wiederkehrende Pflanzenmotiv in Mai Lings Ausstellung wird zur Allegorie auf die auch zeitgenössische Realität der kapitalistischen ökologischen Entfremdung, die wiederum die eurozentrische Verklärung von als „primitiv“ verstandenen Völkern als Effekt hatte. Vor diesem Hintergrund erschöpft sich das Ornamentale in NOT YOUR ORNAMENT nicht in dessen ortsspezifischem und ästhetisch-dekorativem Einsatz, sondern wird als Denkfigur produktiv, die das Ornamentale in einem Dispositiv aus Macht- und Ausschlussmechanismen verortet und damit hochaktuelle Reflexionen über rassistische und sexistische Stereotype aufwirft.

Übrigens, aktuell ist Mai Ling Teil der Ausstellung Ugly Things_Unlearning Beauty / Schirche Sachen_Schönheit verlernen im Queer Museum Vienna – noch bis 14.12.2025.

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