Jonathan Seiffert

Manon Fougère

Chantal Schlacher

Kurzreviews

No items found.

Bilder 1-3: Neptune, Still Video und Zeichnung Schaukel Ⓒ Halyna Andrusenko

Bild 4: Dispatches From a Troubled City. Die Stadt als Roman, Ausstellungsplakat, Indoor – L’Impact, Paris, 2017, courtesy of the artist and Peter Hay Halpert Fine Art © Mario Kiesenhofer

Jonathan Seiffert

Ausstellung „Protected“ von Halyna Andrusenko in der Galerie Navas (29.11. – 17.12.)

 

Gleich nach Betreten des Galerieraumes schaut man auf überdimensionale Leinwände, die verhüllte, mumienartige Gebilde darstellen. Bei näherem Betrachten lässt sich erkennen, dass es sich dabei um Statuen handelt, die mit Stoff umwickelt und Seilen verzurrt sind. In zarten, aber düsteren Grauabstufungen dokumentiert die ukrainische Künstlerin Halyna Andrusenko die Schutzmaßnahmen der Einwohner*innen von Kiew kurz nach Beginn des Angriffskrieges durch Russland. Um die historischen Monumente vor den Invasoren und deren Waffen zu schützen, umlegten sie diese mit gefüllten Sandsäcken und umwickelten sie anschließend mit Tüchern. Während die 2,50 m hohen, mit Öl und Graphit geschaffenen Figuren im vorderen Raum noch beinahe lebensgroß erscheinen, sind im mittleren Raum kleine Aquarelle im DIN-A4-Format zu finden. Auch sie bilden umwickelte Statuen ab, die amorph und mitunter wie Felsgebilde wirken. Manche Oberflächenstrukturen ähneln denen von Austernschalen und greifen so das Motiv der schützenden Hülle wieder auf. 

Besonders bewegend sind die Darstellungen im letzten Raum. Wie man einer Videoarbeit entnehmen kann, hat Andrusenko hier nicht Statuen, sondern Mitglieder ihrer Familie, Freunde und ihren Partner mit Tüchern eingehüllt und auf diese Weise symbolisch zu schützen versucht. Die tatsächliche Unwirksamkeit dieses Schutzes spiegelt dabei ihre Hilflosigkeit wider. Während sie mit einigen Künstlerinnen von der Kunstakademie in Kiew nach Österreich flüchten konnte, musste sie ihre Angehörigen zurücklassen. So sieht man etwa auf einer Papierarbeit ihre kleine Schwester auf der Schaukel schwingen, gänzlich umhüllt und beinahe nicht als Mensch zu erkennen. Wenngleich die Personen aus ihrem Umfeld entfremdet wirken, geben sie dem Krieg dennoch ein Gesicht. Oft ist das Einzelschicksal der Beteiligten in Kriegen wie in der Ukraine über die Medien nur schwer zu fassen. Halyna Andrusenko aber hat genau das geschafft. So bleiben weniger die technisch hervorragend gemalten und gezeichneten Draperien, sondern vielmehr die düstere Stimmung und der Schmerz, nicht für seine Nächsten da sein zu können und die Ungewissheit, was mit ihnen geschieht, in Erinnerung.

 

Halyna Andrusenko (*1992) studierte auf der Nationalen Akademie der schönen Künste Kiew und der Kyiv Academy of Media Arts. Werke aus der gezeigten Serie „Protected“ waren 2022 auf der Biennale in Venedig im Pavillon „Piazza Ucraina“ und in der Ausstellung „Contrapunct“ im Künstlerhaus Wien zu sehen.

Manon Fougère

Dispatches From a Troubled City. Die Stadt als Roman

Wien Museum – MUSA Startgalerie, 1.12.2022 - 26.3.2023

Kuratorin: Nika Kupyrova

Künstler*innen: Aaron Amar Bhamra, Daniela Grabosch, Ordained Hardware, Mario Kiesenhofer, Gašper Kunšič, Anna Paul, Ekaterina Shapiro-Obermair

Dispatches From a Troubled City bildet den Auftakt des bis Ende 2024 in den Wänden der Startgalerie NEU durchgeführten vierteiligen kuratorischen Programms. Im Rahmen der von Nika Kupyrova konzipierten Ausstellung treten die Werke von sieben Künstler*innen in einen ästhetischen und konzeptuellen Dialog, der sich bis in die Höhen des Foyers des MUSA entfaltet. Dieser lässt sich durch die Teilnahme jedes ausgestellten Werks an einem gemeinsamen Narrativ rekonstruieren. Die Ausstellung baut auf eine kollektive Lektüre und Reflexion des Werks Perdido Street Station von China Miéville und schafft dadurch einen Raum für die Konfrontation der fiktiven Stadt Crobuzon, in der der Roman abspielt, und der realen und von den Künstler*innen im Alltag begangenen Urbanität Wien. 

Die sukzessive Lektüre der jeweils von den beteiligten künstlerischen Positionen ausgewählten Textstellen aus dem Roman, die auf den Wandflächen der Galerie wiedergegeben sind, bestimmt somit den – nicht zwangsläufig chronologischen – Übergang der Besucher*innen von einem Werk zum anderen, von einer Ecke der durchwanderten Stadt zur nächsten. Jenseits der gemeinsamen textuellen Reflexion, aus der individuelle Perspektiven entstanden sind und durch die kuratorische Arbeit miteinander zum Gespräch gebracht werden konnten, schaffen die Künstler*innen vielschichtige Lesarten der zeitgenössischen Stadt, ihrer Architektur und ihrer alltäglichen Erfahrung. Sowohl utopische als auch dystopische Narrative des Urbanen werden visualisiert. Der Ansatz des Projekts ermöglicht darüber hinaus eine Infragestellung der üblichen Undurchlässigkeit der Wände der Museumsinstitution und damit ein Eindringen der Stadt in einen a priori inneren Raum.




Chantal Schlacher

Darja Shatalova - Von Punkten, Strichen und vom Leben.

Darja Shatalova ist eine in Wien verortete Künstlerin, die man am ehesten als multidisziplinäre Künstlerin bezeichnen kann, denn ihre Arbeiten umfassen ein breites Spektrum, das von Performance im öffentlichen Raum zu Klanginstallationen und raumbezogenen Objekten reicht. Viele ihrer Arbeiten beruhen auf der Erschaffung verschiedenster Netzwerke und Strukturen, seien es die organische Beschaffenheit von mikrobiologischen Einheiten, das Wiener U-Bahn-Netzwerk oder die Analyse von Bewegungsabläufen und der Wahrnehmung der Umwelt.

Wenn ich versuche mich grob an die Arbeiten von Darja Shatalova zu erinnern, kommt mir immer wieder der Satz „Zwischen den Zeilen lesen“ in den Kopf, denn ein Großteil ihrer Arbeiten beruht auf der systematischen Notierung von Prozessen auf Folien, Gläsern oder transparenten Würfeln aus Kunststoffglas. In diesem Notierungsprozess, der in Form von Linien, Punkten, Pfeilen, Wellen und Zahlen passiert, entstehen Freiräume, die durch die transparente Beschaffenheit einsehbar sind. Das Sprichwort „zwischen den Zeilen lesen“ bedeutet unterdessen auch das Versteckte und nicht ausdrücklich Genannte in einem Text zu erkennen und zu verstehen. In den Arbeiten „Pars Pro Toto“ oder „1030 Days“ passiert eben das. Während die geschaffenen, verschriftlichten Strukturen in „1030 Days“ auf 26 Flächen, die für jeweils einen Monat stehen, aus einer dichten Struktur von numerischen Datensätzen und Diagrammen bestehen, fließt in diese rational anmutende Einheit auch stets das Gefühlvolle mit ein. Neben dem Rationalen und Wissenschaftlichen ist immer auch die Erfahrung der eigenen emotionalen Welt anwesend, indem die Künstlerin psychische Landkarten und verschlüsselte Einträge der persönlichen Befindlichkeit in die Arbeit miteinbezieht. Darja Shatalova macht kein Geheimnis daraus, dass in ihren Arbeiten die persönliche Welt mit der äußerlichen Welt zusammentreffen. In „1030 Days“ baut die Arbeit klar auf dieser Dichotomie auf, wenn jede der verwendeten Flächen mit den statistischen Datensätzen der WHO ein Gegenstück erhält, in dem Farben die Emotionen des jeweiligen Monats visualisieren. Ihre Arbeiten sind ein Beispiel dafür, dass das Eindeutige auch uneindeutig sein kann, dass jeder Datensatz eine Rückseite hat, nämlich die der menschlichen Erfahrung, die ihr zwar inhärent ist, aber nicht immer augenscheinlich erkennbar ist, und durch den angestoßenen Prozess der Künstlerin an die Oberfläche geholt wird. Darja Shatalovas Arbeiten laden ein, zwischen den Zeilen zu lesen, denn auch für die Künstlerin selbst werden manche Verknüpfungen erst nach längerer Außeinandersetzung wieder ersichtlich. Umso spannender ist in diesem Zusammenhang, wenn die Betrachter*innen ihrer Arbeiten in die Vielschichtigkeit und die sich überlappenden Welten eintauchen, und ein kollektives Lesen zwischen dem Ersichtlichen und dem Unersichtlichen stattfindet.

Die Arbeit “1030 Days” ist bis zum 21. Mai 2023 im Künstlerhaus Wien in der Ausstellung „On the Road Again“ ausgestellt.

Jonathan Seiffert

Ausstellung „Protected“ von Halyna Andrusenko in der Galerie Navas (29.11. – 17.12.)

 

Gleich nach Betreten des Galerieraumes schaut man auf überdimensionale Leinwände, die verhüllte, mumienartige Gebilde darstellen. Bei näherem Betrachten lässt sich erkennen, dass es sich dabei um Statuen handelt, die mit Stoff umwickelt und Seilen verzurrt sind. In zarten, aber düsteren Grauabstufungen dokumentiert die ukrainische Künstlerin Halyna Andrusenko die Schutzmaßnahmen der Einwohner*innen von Kiew kurz nach Beginn des Angriffskrieges durch Russland. Um die historischen Monumente vor den Invasoren und deren Waffen zu schützen, umlegten sie diese mit gefüllten Sandsäcken und umwickelten sie anschließend mit Tüchern. Während die 2,50 m hohen, mit Öl und Graphit geschaffenen Figuren im vorderen Raum noch beinahe lebensgroß erscheinen, sind im mittleren Raum kleine Aquarelle im DIN-A4-Format zu finden. Auch sie bilden umwickelte Statuen ab, die amorph und mitunter wie Felsgebilde wirken. Manche Oberflächenstrukturen ähneln denen von Austernschalen und greifen so das Motiv der schützenden Hülle wieder auf. 

Besonders bewegend sind die Darstellungen im letzten Raum. Wie man einer Videoarbeit entnehmen kann, hat Andrusenko hier nicht Statuen, sondern Mitglieder ihrer Familie, Freunde und ihren Partner mit Tüchern eingehüllt und auf diese Weise symbolisch zu schützen versucht. Die tatsächliche Unwirksamkeit dieses Schutzes spiegelt dabei ihre Hilflosigkeit wider. Während sie mit einigen Künstlerinnen von der Kunstakademie in Kiew nach Österreich flüchten konnte, musste sie ihre Angehörigen zurücklassen. So sieht man etwa auf einer Papierarbeit ihre kleine Schwester auf der Schaukel schwingen, gänzlich umhüllt und beinahe nicht als Mensch zu erkennen. Wenngleich die Personen aus ihrem Umfeld entfremdet wirken, geben sie dem Krieg dennoch ein Gesicht. Oft ist das Einzelschicksal der Beteiligten in Kriegen wie in der Ukraine über die Medien nur schwer zu fassen. Halyna Andrusenko aber hat genau das geschafft. So bleiben weniger die technisch hervorragend gemalten und gezeichneten Draperien, sondern vielmehr die düstere Stimmung und der Schmerz, nicht für seine Nächsten da sein zu können und die Ungewissheit, was mit ihnen geschieht, in Erinnerung.

 

Halyna Andrusenko (*1992) studierte auf der Nationalen Akademie der schönen Künste Kiew und der Kyiv Academy of Media Arts. Werke aus der gezeigten Serie „Protected“ waren 2022 auf der Biennale in Venedig im Pavillon „Piazza Ucraina“ und in der Ausstellung „Contrapunct“ im Künstlerhaus Wien zu sehen.

Manon Fougère

Dispatches From a Troubled City. Die Stadt als Roman

Wien Museum – MUSA Startgalerie, 1.12.2022 - 26.3.2023

Kuratorin: Nika Kupyrova

Künstler*innen: Aaron Amar Bhamra, Daniela Grabosch, Ordained Hardware, Mario Kiesenhofer, Gašper Kunšič, Anna Paul, Ekaterina Shapiro-Obermair

Dispatches From a Troubled City bildet den Auftakt des bis Ende 2024 in den Wänden der Startgalerie NEU durchgeführten vierteiligen kuratorischen Programms. Im Rahmen der von Nika Kupyrova konzipierten Ausstellung treten die Werke von sieben Künstler*innen in einen ästhetischen und konzeptuellen Dialog, der sich bis in die Höhen des Foyers des MUSA entfaltet. Dieser lässt sich durch die Teilnahme jedes ausgestellten Werks an einem gemeinsamen Narrativ rekonstruieren. Die Ausstellung baut auf eine kollektive Lektüre und Reflexion des Werks Perdido Street Station von China Miéville und schafft dadurch einen Raum für die Konfrontation der fiktiven Stadt Crobuzon, in der der Roman abspielt, und der realen und von den Künstler*innen im Alltag begangenen Urbanität Wien. 

Die sukzessive Lektüre der jeweils von den beteiligten künstlerischen Positionen ausgewählten Textstellen aus dem Roman, die auf den Wandflächen der Galerie wiedergegeben sind, bestimmt somit den – nicht zwangsläufig chronologischen – Übergang der Besucher*innen von einem Werk zum anderen, von einer Ecke der durchwanderten Stadt zur nächsten. Jenseits der gemeinsamen textuellen Reflexion, aus der individuelle Perspektiven entstanden sind und durch die kuratorische Arbeit miteinander zum Gespräch gebracht werden konnten, schaffen die Künstler*innen vielschichtige Lesarten der zeitgenössischen Stadt, ihrer Architektur und ihrer alltäglichen Erfahrung. Sowohl utopische als auch dystopische Narrative des Urbanen werden visualisiert. Der Ansatz des Projekts ermöglicht darüber hinaus eine Infragestellung der üblichen Undurchlässigkeit der Wände der Museumsinstitution und damit ein Eindringen der Stadt in einen a priori inneren Raum.




Chantal Schlacher

Darja Shatalova - Von Punkten, Strichen und vom Leben.

Darja Shatalova ist eine in Wien verortete Künstlerin, die man am ehesten als multidisziplinäre Künstlerin bezeichnen kann, denn ihre Arbeiten umfassen ein breites Spektrum, das von Performance im öffentlichen Raum zu Klanginstallationen und raumbezogenen Objekten reicht. Viele ihrer Arbeiten beruhen auf der Erschaffung verschiedenster Netzwerke und Strukturen, seien es die organische Beschaffenheit von mikrobiologischen Einheiten, das Wiener U-Bahn-Netzwerk oder die Analyse von Bewegungsabläufen und der Wahrnehmung der Umwelt.

Wenn ich versuche mich grob an die Arbeiten von Darja Shatalova zu erinnern, kommt mir immer wieder der Satz „Zwischen den Zeilen lesen“ in den Kopf, denn ein Großteil ihrer Arbeiten beruht auf der systematischen Notierung von Prozessen auf Folien, Gläsern oder transparenten Würfeln aus Kunststoffglas. In diesem Notierungsprozess, der in Form von Linien, Punkten, Pfeilen, Wellen und Zahlen passiert, entstehen Freiräume, die durch die transparente Beschaffenheit einsehbar sind. Das Sprichwort „zwischen den Zeilen lesen“ bedeutet unterdessen auch das Versteckte und nicht ausdrücklich Genannte in einem Text zu erkennen und zu verstehen. In den Arbeiten „Pars Pro Toto“ oder „1030 Days“ passiert eben das. Während die geschaffenen, verschriftlichten Strukturen in „1030 Days“ auf 26 Flächen, die für jeweils einen Monat stehen, aus einer dichten Struktur von numerischen Datensätzen und Diagrammen bestehen, fließt in diese rational anmutende Einheit auch stets das Gefühlvolle mit ein. Neben dem Rationalen und Wissenschaftlichen ist immer auch die Erfahrung der eigenen emotionalen Welt anwesend, indem die Künstlerin psychische Landkarten und verschlüsselte Einträge der persönlichen Befindlichkeit in die Arbeit miteinbezieht. Darja Shatalova macht kein Geheimnis daraus, dass in ihren Arbeiten die persönliche Welt mit der äußerlichen Welt zusammentreffen. In „1030 Days“ baut die Arbeit klar auf dieser Dichotomie auf, wenn jede der verwendeten Flächen mit den statistischen Datensätzen der WHO ein Gegenstück erhält, in dem Farben die Emotionen des jeweiligen Monats visualisieren. Ihre Arbeiten sind ein Beispiel dafür, dass das Eindeutige auch uneindeutig sein kann, dass jeder Datensatz eine Rückseite hat, nämlich die der menschlichen Erfahrung, die ihr zwar inhärent ist, aber nicht immer augenscheinlich erkennbar ist, und durch den angestoßenen Prozess der Künstlerin an die Oberfläche geholt wird. Darja Shatalovas Arbeiten laden ein, zwischen den Zeilen zu lesen, denn auch für die Künstlerin selbst werden manche Verknüpfungen erst nach längerer Außeinandersetzung wieder ersichtlich. Umso spannender ist in diesem Zusammenhang, wenn die Betrachter*innen ihrer Arbeiten in die Vielschichtigkeit und die sich überlappenden Welten eintauchen, und ein kollektives Lesen zwischen dem Ersichtlichen und dem Unersichtlichen stattfindet.

Die Arbeit “1030 Days” ist bis zum 21. Mai 2023 im Künstlerhaus Wien in der Ausstellung „On the Road Again“ ausgestellt.

Kurzreviews

Upcoming Resonanze

Öl-Proteste durch die Kunst

upcoming Resonanze

Öl-Proteste durch die Kunst

upcoming Resonanze

James T. Hong - Apologies

upcoming Resonanze

Öl-Proteste durch die Kunst

upcoming Resonanze

James T. Hong - Apologies

upcoming events

Öl-Proteste durch die Kunst

upcoming events

James T. Hong - Apologies

put some fire in your belly

put some fire in your belly

put some fire in your belly