Katharina Hoffmann

Marlene Lahmer

Jonathan Seiffert

Balaklava: Kunst - Mode - Protestkultur

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Bild 1: Screenshot aus dem Video Putin’s Ashes 2023, Foto Credits: Pussy Riot auf Youtube

Bild 2: Pussy Riot in der Christ-Erlöser-Kathedrale 2012, Foto Credits: © imago/ITAR-TASS ITAR-TASS

Bild 3: Balaclava aus der Vanessa Hong x Birgitte Herskind Value #2 Collection, Foto Credits: Vanessa Hong x Birgitte Herskind

Bild 4: Stefan-Manuel Eggenweber mit seiner Balaklava-Skulptur, Foto Credits: mit freundlicher Genehmigung des Künstlers

Bild 5: Textile Werke von Miriam King, Foto Credits: Marlene Lahmer

Bild 6: Ausstellungsansicht von Sascha Alexandra Zaitsevas Bussi Riot mit Lars* Kollros, Foto Credits: mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin

Bild 7: Buchcover Foucault para Encapuchadas von Manada de Lobxs (Verlag Queen Ludd 2. Auflage 2016), Foto Credits: Marlene Lahmer

Bild 8: Balaklava, Rosemarie Trockel, Foto Credits: © VG Bild-Kunst, Bonn / Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

Bild 9: Wien darf präsentieren ihre Message mit Balaklava, Foto Credits: mit freundlicher Genehmigung der Künstler:innen

Katharina Hoffmann

Die Sturmhaube ist eine Kopfbedeckung, die den Hals und den Kopf bedeckt und entweder Teile des Gesichts wie Mund- und Augenpartie offen lässt oder auch das Gesicht umrahmt. Sie besteht häufig aus Wolle oder synthetischem Material und wird zum Schutz vor Kälte oder zur Tarnung verwendet. Ursprünglich wurde sie vom Militär bei kaltem Wetter genutzt, heute findet man sie auch in anderen Kontexten. Die Erkennungsmerkmale des Gesichts werden nur auf die Funktion des Sehens und Sprechens reduziert, die Identität wird für das Gegenüber geheim gehalten. Nicht ohne Grund steht sie als Symbol der Anonymität, des Verbergens oder des Schutzes. Mit diesem Vorteil findet man sie auch als Vehikel von politischen und sozialen Botschaften wie in Protesten, Rebellion oder kriminellen Aktivitäten. Die Verhüllung des Gesichts setzt das Individuum in den Hintergrund und die Absicht des Tragens der Balaklava in den Vordergrund. Aber was unterscheidet die Sturmhaube von der Maske?

 

Eine Maske bedeckt in der Regel nur das Gesicht und lässt den Kopf und den Hals frei. Sie kann aus verschiedenen Materialien bestehen und wird für eine Reihe von Zwecken verwendet, wie zum Beispiel  zum Schutz vor Staub, Verschmutzung oder Infektionskrankheiten, als Teil eines Kostüms oder als dekorativer/ symbolischer Gegenstand. Aktivistische Organisationen benutzen aus diesem Grund Masken, um die Identität zu verstecken und nach Außen die Zugehörigkeit zu symbolisieren. Beispiele sind hier das Hacker-Kollektiv Anonymous, die Masken des katholischen britischen Attentäters Guy Fawkes (1606) tragen – entlehnt aus dem dystopischen Polit Comic V wie Vendetta. Oder die feministischen Aktivistinnen der Künstler*innengruppe Guerilla Girls, die Gorillamasken und Pseudonyme verwenden, die auf verstorbene Künstlerinnen verweisen.  Die Maske macht die Träger*innen zum Teil der Bewegung, wodurch sie auch gleichzeitig als Symbol für die Gruppe im öffentlichen Raum fungiert. Welche Rolle spielt aber speziell die Sturmhaube?

 

Die Sturmhaube, deren Pseudonyme Zeilen füllen könnte, hat insbesondere in der Verwendung des Begriffs Balaklava eine höchst politische Bedeutung. Die Bezeichnung Balaklava hat ihren Ursprung in der Schlacht von Balaklawa[1] (Krimkrieg 1853-1856), einer militärischen Auseinandersetzung von 1854 zwischen Alliierten und dem Russischen Kaiserreich während der Belagerung von Sewastopol im Krimkrieg. Aufgrund der klimatischen Bedingungen des russischen Winters wurden Strickmützen in Sturmhauben-Form an die britische Truppen ausgegeben, die diese nach Kriegsende als Balaklava bezeichneten. Zwei Jahrhunderte später zogen Mitglieder der Pussy Riot Gruppe gehäkelte Balaklavas auf und protestieren seit jeher gegen die russische Kremlpolitik.  

 

Pussy Riot ist ein 2011 gegründetes Performance-Kollektiv aus Moskau, das durch öffentliche Auftritte in Moskau gegen Putins Politik demonstriert. Ihre Auftritte passieren spontan, sie tragen bunte Strickbalaklavas und sind dabei leicht bekleidet. Mediales Aufsehen erregten sie durch ihr Punk-Gebet in der Christ-Erlöser-Kathedrale 2012, wo sie vor dem Altar 41 Sekunden lang nach eigenen Angaben gegen den Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche Kyrill I. protestierten, der Putin bei der Präsidentschaftswahlen unterstütze. Durch die Verhüllung der Gesichter werden die verbalen Äußerungen der Aktivist*innen in den Vordergrund gebracht. Die Botschaft erreicht das Ohr ohne kritischen Zugang auf das Gesehene. Jedoch ist die Wahl auf die Sturmhaube für ihren Protest nicht ohne Grund gewählt worden -  im Russischen gibt es nur die von der Geschichte geprägten Begriff Balaklava (=балаклава). Pussy Riot benutzt aus diesem Grund bewusst die Sturmhaube als ihr Symbol. Selbst ein Jahrzehnt später treten sie in selber Montur auf, wie beispielsweise ein Video vom Fußballspiel USA gegen Iran bei der WM in Katar 2022 zeigt.[2] Am 27.1.2023 veröffentlichte das Kollektiv das Video Putin’s Ashes. Die Aktivist*innen sind als eine einheitliche Gruppe zu sehen. Die bunten Farben wurden auf Rot und Schwarz reduziert. Die Uniform besteht aus roten Balaklavas, leichte Bekleidung - in diesem Fall schwarzen Negeles -, Strumpfhosen und Combatstiefel. Die deutliche Kampfansage an Putin erhält durch die Einheitsfarben Schwarz und Rot – stellvertretend für Asche und Blut – einen kämpferischen Modus.

 

Das Video mit der Kampfansage erzeugt ein uniformes Bild der Mitglieder mit der Balaklava als fester Bestandteil der Protestuniform. Genauso wie die Gorillamaske für die Guerilla-Girls, fungiert die Sturmhaube als Zeichen der Uniformität und dem definierten Ziel der Aktivist*innengruppe. Die nun aufgeladene Symbolik der Balaklava für die Protestkultur gegen Putins Regime bedeutet damit, dass Nicht-Aktivist*innen - auch gegen ihre Intention - den Protest stets mit sich tragen. Ein ähnliches Beispiel findet sich im Tragen der Kufiya, das durch den Nahostkonflikt die Bezeichnung “Palästinatuch” erhielt und vor allem in den 2010er Jahren seinen Weg in die Mainstream-Mode erhielt. Designer*innen machen die Stücke salonfähig und erheben sie zum It-Piece. Was bleibt aus der eigentlichen symbolischen Kraft? Die Modeindustrie tritt jedoch durch die blinde Übertragung von Designs auch immer wieder ins Fettnäpfchen. Cultural Appropriation und Rassismus schleichen sich immer wieder auf die Verkaufsfläche. Zara hat beispielsweise im Jahr 2014 ein gestreiftes Kinder-T-Shirt mit einem gelben Stern herausgebracht, das ein Sheriff-outfit symbolisieren soll. Das Shirt erinnerte jedoch stark an die Kleidung, die die Gefangenen in Konzentrationslagern trugen und der "Sheriffstern" an den  Judenstern, die auf die Kleidung aufgenäht werden mussten.[3] Am Ende gilt jedoch immer: Ignorantia legis non excusat. Die Manifestierung als bloßes Modestück macht die Geschichte dahinter nicht obsolet. Damit ist auch die Balaklava immer ein Zeichen für den Protest gegen das russische Regime und macht die Tragenden zu Mitgliedern dieser Bewegung. 

[1] Als 1475 die Türken die Stadt eroberten, gaben sie ihr den neuen Namen: Balaklawa (türkisch Balık Yuva), was auf deutsch „Fischbecken“ bedeutet.

[2]https://www.stern.de/panorama/video-wm-katar-2022---pussy-riot-im-stadion-beim-spiel-iran-gegen-usa-32962886.html

 

[3]https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/judenstern-und-hakenkreuze-6330109.html

Marlene Lahmer

„In jede Richtung gehen die Fäden, aber unter der Struktur ist nichts“ 

oder: Die Möglichkeiten eines Körpers, wenn die Maske das Gesicht sein darf

 

Ich stelle mir textile Kultur gern als einzigen Faden vor, der unterirdisch durch die Geschichte verläuft und immer wieder in unterschiedlichen konkreten Formen an die Oberfläche tritt. Die Balaklava begleitet uns in unserem Bildgedächtnis schon eine Weile, bewusst begegnet ist sie mir erst im Anschluss an eine WhatsApp-Konversation mit Stefan-Manuel Eggenweber:

Stefan: Hast du morgen Zeit? Ich bin Teil einer Ausstellung im Creative Cluster.

Marlene: Oh, davon hab ich gehört ... was zeigst du?

Stefan: Eine gehäkelte Balaklava.

Weil ich „Baklava“ gelesen habe, schreibe ich noch „mir läuft das Wasser im Mund zusammen“. Stattdessen begegnet mir in der Ausstellung eine unheimlich anmutende fleischfarbene Sturmhaube oder Gesichtshaut. Mit vielen knotigen Auswüchsen zwischen den Häkelmaschen. Aus ihren Augen- und Mundöffnungen quillt eine rote, ebenfalls textile, Substanz. Das Wollgebilde changiert zwischen Maske und Innereien nach außen gestülpt. Am Hals scheint sie zu tropfen, sich aufzulösen. Dann führen viele unterschiedlich dicke Fäden von ihr weg. Wie Eingeweide, als wäre Frankensteins Monster eine Handarbeit (1) und noch nicht fertig. Der Begriff des Monsters liegt Stefan nahe und verfolgt ihn schon länger in textilen Formen. In der negativen Zuschreibung des Monsters findet er Parallelen zur gesellschaftlichen Betrachtung von queeren und nicht-normativen Körpern, seine Arbeiten fordern Sehgewohnheiten heraus. „In der Balaklava als Objekt wird ein revolutionärer Gestus und eine Textilität zusammengeführt“, sagt er. Als gesichtsverdeckendes Kleidungsstück lasse sie einen „Bezug auf Transformation und auch Monstrosität“ zu, so Stefan. Mir gefällt der Gedanke, dass hier ein Subjekt konstruiert wird, das man auch wieder auftrennen kann. 

Wenig später lerne ich Miriam King im neu eröffneten Studio Golfklub kennen. Ihre Arbeit ist im Spannungsfeld der sanften Nachgiebigkeit des textilen Mediums und dem Bildprogramm von Protest und Gewaltbereitschaft angesiedelt. Auf lieblichen Blümchenstoffresten überrascht das Motiv einer vermummten Rebell:innenfamilie, deren jüngstes Mitglied ein Gewehr hält. Die Balaklava ist Bestandteil ihres symbolischen Vokabulars und ihrer Auseinandersetzung. Zum Beispiel hat sie eine gestrickt und anschließend als Stempel verwendet, um per Abdruck ein Bild des Kleidungsstücks und seines Strickmusters zu generieren. Wenn die Haube ein Abdruck vom Kopf ist, ist das der Abdruck des Abdrucks. Wie bei Stefan schaut mich hier ein Gesicht an, das doch nur die Hülle ist, die man ihm übergestülpt hätte … oder doch mehr? Die Drucke lese ich einerseits als poetische Metapher dafür, wie die Balaklava vom textilen Kleidungsstück zum grafischen Symbol wurde - und frei zwischen diesen Domänen mäandert. Aber auch dafür, dass dieses Wesenhafte der Sturmhaube beliebig reproduzierbar ist. Ich stelle mir vor, Miriam könnte sich eine Armee aus Balaklava-Köpfen drucken. Auf einem Instagram-Foto sieht man, wie einige von Miriams verschiedenfarbigen Strick-Balaklavas auf einem Wäscheständer hängen, als würden sie dort nach einer Protestaktion rasten. Ich muss an Pussy Riot denken, deren Mitglieder in einem Channel 4 News Artikel vom Februar 2012 (2) kurz nach ihrer einschneidenden Performance in einer Kirche, die zur Inhaftierung dreier Mitglieder führen sollte, nur als „blue balaclava“, „yellow balaclava“ etc. werden. 

Wenn Identität aufgetrennt werden kann, dann kann sie auch getauscht und weitergegeben werden. Damals, als Pussy Riot gerade explosionsartig mediale Aufmerksamkeit erlangen aber ihre Identitäten als reale Personen noch nicht bekannt sind, ist es relativ egal, wer sich unter der blauen Balaklava befindet, solange „blue balaclava“ als Charakter auftritt.

Pussy Riot waren für die Etablierung und Verbreitung der Balaklava als Protestsymbol maßgeblich, doch da es ihnen nicht an „media coverage“ (sic! lol) fehlt, möchte ich darauf eingehen, wie die Morphologie und Symbolik, die sie uns durch ihre Aktionen mitgegeben haben, in den Werken weniger beschriebener Künstler:innen Transformation erfahren. Zum Beispiel in Sascha Alexandra Zaitsevas Bussi Riot, einer Serie von keramischen Flachplastiken in Form von Balaklava-tragenden Babuschkas. Diese ließ sie vor problematischen Monumenten in Sankt Petersburg, aber auch in Wien protestieren. Die Babuschkas haben unterschiedliche Hautfarben und sind bis auf die Balaklava nackt. Das einzig definierte Merkmal ihres eiförmigen Torsos ist eine große Vulva in der Mitte, die bei jeder anders aussieht. Dass die Devise „ich verhülle mein Gesicht und zeige meinen nackten Körper“ als Provokation taugt, ist hier vorausgesetzt.

Doch was sagt uns Verhüllung über sexuelle Freiheit? Oder um einen Abstecher zur karnevalesken Ausgangsfrage zu machen: Welche Möglichkeiten hat ein Körper, wenn die Maske das Gesicht sein darf?

In der feministischen Buchhandlung La Raposa in Barcelona fällt mir das Buch Foucault para Encapuchadas (Foucault für Capucha-Tragende) des nicht näher definierten feministischen Kollektivs Manada de Lobxs (Wölf:innenherde) in die Hände. Vom Cover schaut mich ein (von mir weiblich gelesener) Kopf in schwarzer Balaklava mit herausforderndem Blick und Kussmund an. Im Buch geht es um den Rückzug der Frauen* (3) und ihrer Körper aus den Rollenbildern und Beziehungskonzepten, die man ihnen auferlegt hat. Um das Zusammensein in einem noch nicht beschriebenen Territoriums, einer sinnbildlichen Wüste. Die Wölf:innenherde entzieht sich der „heterokapitalistischen” Gesellschaft und ihres Blicks. 

Das Wort „Capucha“, nicht ganz gleichbedeutend mit Balaklava, führt noch auf eine andere Fährte. Obwohl sie mit „Kapuze“ übersetzt wird, kann die „Capucha“ auch komplett gesichtsverhüllende Formen annehmen. In der spanischsprachigen Welt hat sie ebenfalls einen feministischen Beigeschmack. Sie ist eng mit der chilenischen Frauenbewegung verbunden, die durch die Revolte vom 18. Oktober 2019 Momentum gewann - einer sozialen Protestbewegung, deren Auslöser ursprünglich Teuerungen des öffentlichen Verkehrs waren und die sich bald zum Dreh- und Angelpunkt für Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit entwickelte. Unzählige Schülerinnen, Studentinnen und junge Frauen gingen damals mit Capucha auf die Straße, um sich vor dem Tränengas der Polizei zu schützen, und entwickelten nebenbei ein eigenes ästhetisches Vokabular, das ihnen erlaubte, Individualität auszudrücken und gleichzeitig „under cover“ zu bleiben. Die Künstlerin Eugenia Vargas-Pereira teilt diese Beobachtung auf ihrer Website. Mit ihrer annotierten Fotoserie tus ojos cuentan la história (deine Augen erzählen die Geschichte) hat sie ein poetisches Zeitzeugnis erschaffen. Portraitfotos zeigen die Demonstrantinnen in ihren Capuchas. Eugenia schreibt:

 „They elaborate beautiful capuchas, balaclava style embellished with intricate embroidery, pearls, feathers, and chains. […] During the social uprising, women put their bodies at the center of the conflict, with distinctive masks that make them highly visible amongst the multitude.“ (4)

(Sie entwickeln wunderschöne Capuchas im Balaklava-Stil, dekoriert mit feinem Stickmuster, Perlen, Federn und Ketten. [...] Während der sozialen Unruhen stellen Frauen ihre Körper ins Zentrum des Konflikts, mit auffälligen Masken, die ihnen große Sichtbarkeit in den Massen verleihen.)

Ein Stichwort, das dem semantischen Feld von Verhüllung eigentlich gegenläufig ist, ist „Sichtbarkeit“. Die Bewegung verwendet das Verhüllen subversiv, um einzeln aufzufallen und sich zu einer Gruppe zu bekennen. Damit treffen sie einen Nerv, denn Frauen*rechte,  bzw. Rechte für alle Geschlechter, haben schon immer Individualität (Selbstbestimmung) und Solidarität (ein besseres Leben für alle) vereint.

1 vgl. „Handarbeit“ im Sinne einer textilen Arbeit, so wie unsere Mütter und Großmutter noch Handarbeiten als Schulfach hatten. 

2 https://www.channel4.com/news/battle-of-the-balaclavas-the-young-feminists-taking-on-putin

3 Das Wort “Frau*” mit Sternchen verwende ich, um alle mitzumeinen, die sich für die kulturelle Kategorie Frau entschieden haben.

4 https://eugeniav.typepad.com/photos/aa_mujeresinsurgentes/qa6a4747-copy.html

Jonathan Seiffert

Gerade zur winterlichen Jahreszeit vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht auf das Modephänomen der letzten Jahre stößt: die Balaklava - (Sturm-) Haube. Es gibt sie in verschiedenen Varianten: Meistens aus Baumwolle gestrickt, mal ist dabei das ganze Gesicht freigelegt, mal ist sie mit Augen- und Mundöffnungen versehen. Historisch betrachtet lag ihre Funktion im Schutz britischer Soldaten vor der Kälte während des Krimkrieges (1853-56). Doch in den folgenden Jahren hat sich die Sturmhaube in verschiedenen Bereichen etabliert. Oft dient sie zum Schutz der Identität, sei es bei Spezialeinheiten der Polizei und Militär, bei Demonstrierenden, bei Terroristen und Kriminellen oder auch bei Fetischpartys.

Auch in derdie bildenden Kunst hat die Balaklava ihren Weg gefunden. Bereits 1986 fertigte Rosemarie Trockel fünf Sturmhauben an, die mit verschiedenen Mustern versehen sind, darunter dem Playboylogo, Hammer und Sichel oder Hakenkreuze,die auf unsere Lebensmuster und Identität verweisen sollen. In der Mode hat sie zunächst ihre ursprüngliche Funktion als Kälteschutz beibehalten. Als richtiges Highfashion Accessoire erschien sie erstmals 2018 auf den Laufstegen von Calvin Klein und Gucci. Doch erst zwei Jahre später entwickelte sie sich dann zum Trend als andere Modehäuser wie Givenchy, Miu Miu oder Stella McCartney ein Comeback wagten und ihre Models reihenweise mit der Kopfbedeckung ausstatteten.

Eine Symbiose zwischen Kunst und Mode ist das Wiener Label „Wiendarf“, das von der Fotografin Valentina Schandl und dem Künstler TOMAK im Jahr 2019 gegründet wurde. Ihr Slogan „Wien darf nicht Österreich werden“ kann als Antwort auf die jüngsten innenpolitischen Entwicklungen dieser Zeit gewertet werden. Die ÖVP hatte unter Sebastian Kurz mit der FPÖ koaliert und gemeinsam die Regierung gebildet, bis diese nach den Aufdeckungen, die als „Ibiza-Affäre“ in die Geschichtsbücher eingegangen sind, zusammenbrach. 

Der Aufstieg und die Popularität der FPÖ liegen jedoch schon weiter zurück. Bei der Wahl zum Bundespräsidenten 2016 lagen Alexander van der Bellen und Norbert Hofer nach dem zweiten Wahlgang nur 30.000 Stimmen auseinander. Österreich schien sich zur Hälfte in ein rechtes und ein liberales Lager aufgeteilt zu haben. Dass Wien seit jeher eine rote Hochburg ist und sämtliche Landesregierungen der Zweiten Republik von der SPÖ gestellt wurden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das politische Klima in weiten Teilen des Landes ein anderes ist. Dies ließ sich auch an den Wahlerfolgen von Sebastian Kurz, der sich vehement gegen die Immigration von Geflüchteten gestellt hatte, festmachen. 

Die Aufforderung, dass Wien nicht Österreich werden darf, kann daher eindeutig als politisches Statement aufgefasst werden. Ein Statement, dass man sich auf die Brust schreibt und klar nach außen trägt. Passend dazu gibt es ein Foto des Labels, das eine Frau mit Balaklava und nacktem Oberkörper zeigt, auf deren Dekolleté der Slogan geschrieben ist. Durch die Sturmhaube verändert sich die Botschaft. Sie wird eindringlicher. Sie zeigt, dass Wien sich auflehnt und auch zu radikalem Protest bereit ist. Dass die Gefahr besteht, dass eine politische Grenze überschritten wird, die nicht hinzunehmen ist. Sie ist eine Drohung, ein Spiel mit dem, was passieren könnte, wenn sich das politische Klima weiter verschlechtert. Dass auf der Balaklava das Wappen der Stadt und nicht die Flagge des Landes eingestickt ist, gibt die Identifikation der Träger*in mit der politischen Heimat preis. Neben der Sturmhaube und dem T-Shirt mit dem Slogan gibt es weitere Produkte, die auf politische Ereignisse referieren: Hoodies mit dem Logo des (Not-) Reisepasses und dem des Impfpasses. Vor allem Letzterer sollte als klares Statement dienen, dass man geimpft ist und die Impfung gegen Covid-19 für sinnvoll erachtet. Von politischen Vertreter*innen der FPÖ waren zu Beginn der Coronaepedemie teilweise krude, der Wissenschaft konträre Einschätzungen über die Gefahr des Virus verbreitet worden. Dies gipfelte in der Empfehlung vermeintlich alternativer Schutz- und Behandlungsmaßnahmen wie Pferderentwurmungsmittel. Dass es sich bei den Coronaleugner*innen nicht um eine zu vernachlässigende Minderheit der Bevölkerung handelt, ließ sich an den fortwährenden Demonstrationen und Umfragen feststellen.

Die Kleidungsstücke von „Wiendarf“ nehmen damit verschiedene Funktionen ein. Sie sind einerseits ein politisches Statement und dienen als Bekenntnis für ein liberales Miteinander. Sie sind aber auch Ausdrucksmittel für Protest. Dies wird besonders deutlich durch die Balaklava, die damit viel mehr als nur ein modisches Accessoire ist. Sie wird zum Symbol von Widerstand und Bereitschaft, für die eigenen Werte einzustehen.Sie dient als Kampfansage einer anonymen Streitmacht, die das politische Ungleichgewicht anspricht. 

Katharina Hoffmann

Die Sturmhaube ist eine Kopfbedeckung, die den Hals und den Kopf bedeckt und entweder Teile des Gesichts wie Mund- und Augenpartie offen lässt oder auch das Gesicht umrahmt. Sie besteht häufig aus Wolle oder synthetischem Material und wird zum Schutz vor Kälte oder zur Tarnung verwendet. Ursprünglich wurde sie vom Militär bei kaltem Wetter genutzt, heute findet man sie auch in anderen Kontexten. Die Erkennungsmerkmale des Gesichts werden nur auf die Funktion des Sehens und Sprechens reduziert, die Identität wird für das Gegenüber geheim gehalten. Nicht ohne Grund steht sie als Symbol der Anonymität, des Verbergens oder des Schutzes. Mit diesem Vorteil findet man sie auch als Vehikel von politischen und sozialen Botschaften wie in Protesten, Rebellion oder kriminellen Aktivitäten. Die Verhüllung des Gesichts setzt das Individuum in den Hintergrund und die Absicht des Tragens der Balaklava in den Vordergrund. Aber was unterscheidet die Sturmhaube von der Maske?

 

Eine Maske bedeckt in der Regel nur das Gesicht und lässt den Kopf und den Hals frei. Sie kann aus verschiedenen Materialien bestehen und wird für eine Reihe von Zwecken verwendet, wie zum Beispiel  zum Schutz vor Staub, Verschmutzung oder Infektionskrankheiten, als Teil eines Kostüms oder als dekorativer/ symbolischer Gegenstand. Aktivistische Organisationen benutzen aus diesem Grund Masken, um die Identität zu verstecken und nach Außen die Zugehörigkeit zu symbolisieren. Beispiele sind hier das Hacker-Kollektiv Anonymous, die Masken des katholischen britischen Attentäters Guy Fawkes (1606) tragen – entlehnt aus dem dystopischen Polit Comic V wie Vendetta. Oder die feministischen Aktivistinnen der Künstler*innengruppe Guerilla Girls, die Gorillamasken und Pseudonyme verwenden, die auf verstorbene Künstlerinnen verweisen.  Die Maske macht die Träger*innen zum Teil der Bewegung, wodurch sie auch gleichzeitig als Symbol für die Gruppe im öffentlichen Raum fungiert. Welche Rolle spielt aber speziell die Sturmhaube?

 

Die Sturmhaube, deren Pseudonyme Zeilen füllen könnte, hat insbesondere in der Verwendung des Begriffs Balaklava eine höchst politische Bedeutung. Die Bezeichnung Balaklava hat ihren Ursprung in der Schlacht von Balaklawa[1] (Krimkrieg 1853-1856), einer militärischen Auseinandersetzung von 1854 zwischen Alliierten und dem Russischen Kaiserreich während der Belagerung von Sewastopol im Krimkrieg. Aufgrund der klimatischen Bedingungen des russischen Winters wurden Strickmützen in Sturmhauben-Form an die britische Truppen ausgegeben, die diese nach Kriegsende als Balaklava bezeichneten. Zwei Jahrhunderte später zogen Mitglieder der Pussy Riot Gruppe gehäkelte Balaklavas auf und protestieren seit jeher gegen die russische Kremlpolitik.  

 

Pussy Riot ist ein 2011 gegründetes Performance-Kollektiv aus Moskau, das durch öffentliche Auftritte in Moskau gegen Putins Politik demonstriert. Ihre Auftritte passieren spontan, sie tragen bunte Strickbalaklavas und sind dabei leicht bekleidet. Mediales Aufsehen erregten sie durch ihr Punk-Gebet in der Christ-Erlöser-Kathedrale 2012, wo sie vor dem Altar 41 Sekunden lang nach eigenen Angaben gegen den Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche Kyrill I. protestierten, der Putin bei der Präsidentschaftswahlen unterstütze. Durch die Verhüllung der Gesichter werden die verbalen Äußerungen der Aktivist*innen in den Vordergrund gebracht. Die Botschaft erreicht das Ohr ohne kritischen Zugang auf das Gesehene. Jedoch ist die Wahl auf die Sturmhaube für ihren Protest nicht ohne Grund gewählt worden -  im Russischen gibt es nur die von der Geschichte geprägten Begriff Balaklava (=балаклава). Pussy Riot benutzt aus diesem Grund bewusst die Sturmhaube als ihr Symbol. Selbst ein Jahrzehnt später treten sie in selber Montur auf, wie beispielsweise ein Video vom Fußballspiel USA gegen Iran bei der WM in Katar 2022 zeigt.[2] Am 27.1.2023 veröffentlichte das Kollektiv das Video Putin’s Ashes. Die Aktivist*innen sind als eine einheitliche Gruppe zu sehen. Die bunten Farben wurden auf Rot und Schwarz reduziert. Die Uniform besteht aus roten Balaklavas, leichte Bekleidung - in diesem Fall schwarzen Negeles -, Strumpfhosen und Combatstiefel. Die deutliche Kampfansage an Putin erhält durch die Einheitsfarben Schwarz und Rot – stellvertretend für Asche und Blut – einen kämpferischen Modus.

 

Das Video mit der Kampfansage erzeugt ein uniformes Bild der Mitglieder mit der Balaklava als fester Bestandteil der Protestuniform. Genauso wie die Gorillamaske für die Guerilla-Girls, fungiert die Sturmhaube als Zeichen der Uniformität und dem definierten Ziel der Aktivist*innengruppe. Die nun aufgeladene Symbolik der Balaklava für die Protestkultur gegen Putins Regime bedeutet damit, dass Nicht-Aktivist*innen - auch gegen ihre Intention - den Protest stets mit sich tragen. Ein ähnliches Beispiel findet sich im Tragen der Kufiya, das durch den Nahostkonflikt die Bezeichnung “Palästinatuch” erhielt und vor allem in den 2010er Jahren seinen Weg in die Mainstream-Mode erhielt. Designer*innen machen die Stücke salonfähig und erheben sie zum It-Piece. Was bleibt aus der eigentlichen symbolischen Kraft? Die Modeindustrie tritt jedoch durch die blinde Übertragung von Designs auch immer wieder ins Fettnäpfchen. Cultural Appropriation und Rassismus schleichen sich immer wieder auf die Verkaufsfläche. Zara hat beispielsweise im Jahr 2014 ein gestreiftes Kinder-T-Shirt mit einem gelben Stern herausgebracht, das ein Sheriff-outfit symbolisieren soll. Das Shirt erinnerte jedoch stark an die Kleidung, die die Gefangenen in Konzentrationslagern trugen und der "Sheriffstern" an den  Judenstern, die auf die Kleidung aufgenäht werden mussten.[3] Am Ende gilt jedoch immer: Ignorantia legis non excusat. Die Manifestierung als bloßes Modestück macht die Geschichte dahinter nicht obsolet. Damit ist auch die Balaklava immer ein Zeichen für den Protest gegen das russische Regime und macht die Tragenden zu Mitgliedern dieser Bewegung. 

[1] Als 1475 die Türken die Stadt eroberten, gaben sie ihr den neuen Namen: Balaklawa (türkisch Balık Yuva), was auf deutsch „Fischbecken“ bedeutet.

[2]https://www.stern.de/panorama/video-wm-katar-2022---pussy-riot-im-stadion-beim-spiel-iran-gegen-usa-32962886.html

 

[3]https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/judenstern-und-hakenkreuze-6330109.html

Marlene Lahmer

„In jede Richtung gehen die Fäden, aber unter der Struktur ist nichts“ 

oder: Die Möglichkeiten eines Körpers, wenn die Maske das Gesicht sein darf

 

Ich stelle mir textile Kultur gern als einzigen Faden vor, der unterirdisch durch die Geschichte verläuft und immer wieder in unterschiedlichen konkreten Formen an die Oberfläche tritt. Die Balaklava begleitet uns in unserem Bildgedächtnis schon eine Weile, bewusst begegnet ist sie mir erst im Anschluss an eine WhatsApp-Konversation mit Stefan-Manuel Eggenweber:

Stefan: Hast du morgen Zeit? Ich bin Teil einer Ausstellung im Creative Cluster.

Marlene: Oh, davon hab ich gehört ... was zeigst du?

Stefan: Eine gehäkelte Balaklava.

Weil ich „Baklava“ gelesen habe, schreibe ich noch „mir läuft das Wasser im Mund zusammen“. Stattdessen begegnet mir in der Ausstellung eine unheimlich anmutende fleischfarbene Sturmhaube oder Gesichtshaut. Mit vielen knotigen Auswüchsen zwischen den Häkelmaschen. Aus ihren Augen- und Mundöffnungen quillt eine rote, ebenfalls textile, Substanz. Das Wollgebilde changiert zwischen Maske und Innereien nach außen gestülpt. Am Hals scheint sie zu tropfen, sich aufzulösen. Dann führen viele unterschiedlich dicke Fäden von ihr weg. Wie Eingeweide, als wäre Frankensteins Monster eine Handarbeit (1) und noch nicht fertig. Der Begriff des Monsters liegt Stefan nahe und verfolgt ihn schon länger in textilen Formen. In der negativen Zuschreibung des Monsters findet er Parallelen zur gesellschaftlichen Betrachtung von queeren und nicht-normativen Körpern, seine Arbeiten fordern Sehgewohnheiten heraus. „In der Balaklava als Objekt wird ein revolutionärer Gestus und eine Textilität zusammengeführt“, sagt er. Als gesichtsverdeckendes Kleidungsstück lasse sie einen „Bezug auf Transformation und auch Monstrosität“ zu, so Stefan. Mir gefällt der Gedanke, dass hier ein Subjekt konstruiert wird, das man auch wieder auftrennen kann. 

Wenig später lerne ich Miriam King im neu eröffneten Studio Golfklub kennen. Ihre Arbeit ist im Spannungsfeld der sanften Nachgiebigkeit des textilen Mediums und dem Bildprogramm von Protest und Gewaltbereitschaft angesiedelt. Auf lieblichen Blümchenstoffresten überrascht das Motiv einer vermummten Rebell:innenfamilie, deren jüngstes Mitglied ein Gewehr hält. Die Balaklava ist Bestandteil ihres symbolischen Vokabulars und ihrer Auseinandersetzung. Zum Beispiel hat sie eine gestrickt und anschließend als Stempel verwendet, um per Abdruck ein Bild des Kleidungsstücks und seines Strickmusters zu generieren. Wenn die Haube ein Abdruck vom Kopf ist, ist das der Abdruck des Abdrucks. Wie bei Stefan schaut mich hier ein Gesicht an, das doch nur die Hülle ist, die man ihm übergestülpt hätte … oder doch mehr? Die Drucke lese ich einerseits als poetische Metapher dafür, wie die Balaklava vom textilen Kleidungsstück zum grafischen Symbol wurde - und frei zwischen diesen Domänen mäandert. Aber auch dafür, dass dieses Wesenhafte der Sturmhaube beliebig reproduzierbar ist. Ich stelle mir vor, Miriam könnte sich eine Armee aus Balaklava-Köpfen drucken. Auf einem Instagram-Foto sieht man, wie einige von Miriams verschiedenfarbigen Strick-Balaklavas auf einem Wäscheständer hängen, als würden sie dort nach einer Protestaktion rasten. Ich muss an Pussy Riot denken, deren Mitglieder in einem Channel 4 News Artikel vom Februar 2012 (2) kurz nach ihrer einschneidenden Performance in einer Kirche, die zur Inhaftierung dreier Mitglieder führen sollte, nur als „blue balaclava“, „yellow balaclava“ etc. werden. 

Wenn Identität aufgetrennt werden kann, dann kann sie auch getauscht und weitergegeben werden. Damals, als Pussy Riot gerade explosionsartig mediale Aufmerksamkeit erlangen aber ihre Identitäten als reale Personen noch nicht bekannt sind, ist es relativ egal, wer sich unter der blauen Balaklava befindet, solange „blue balaclava“ als Charakter auftritt.

Pussy Riot waren für die Etablierung und Verbreitung der Balaklava als Protestsymbol maßgeblich, doch da es ihnen nicht an „media coverage“ (sic! lol) fehlt, möchte ich darauf eingehen, wie die Morphologie und Symbolik, die sie uns durch ihre Aktionen mitgegeben haben, in den Werken weniger beschriebener Künstler:innen Transformation erfahren. Zum Beispiel in Sascha Alexandra Zaitsevas Bussi Riot, einer Serie von keramischen Flachplastiken in Form von Balaklava-tragenden Babuschkas. Diese ließ sie vor problematischen Monumenten in Sankt Petersburg, aber auch in Wien protestieren. Die Babuschkas haben unterschiedliche Hautfarben und sind bis auf die Balaklava nackt. Das einzig definierte Merkmal ihres eiförmigen Torsos ist eine große Vulva in der Mitte, die bei jeder anders aussieht. Dass die Devise „ich verhülle mein Gesicht und zeige meinen nackten Körper“ als Provokation taugt, ist hier vorausgesetzt.

Doch was sagt uns Verhüllung über sexuelle Freiheit? Oder um einen Abstecher zur karnevalesken Ausgangsfrage zu machen: Welche Möglichkeiten hat ein Körper, wenn die Maske das Gesicht sein darf?

In der feministischen Buchhandlung La Raposa in Barcelona fällt mir das Buch Foucault para Encapuchadas (Foucault für Capucha-Tragende) des nicht näher definierten feministischen Kollektivs Manada de Lobxs (Wölf:innenherde) in die Hände. Vom Cover schaut mich ein (von mir weiblich gelesener) Kopf in schwarzer Balaklava mit herausforderndem Blick und Kussmund an. Im Buch geht es um den Rückzug der Frauen* (3) und ihrer Körper aus den Rollenbildern und Beziehungskonzepten, die man ihnen auferlegt hat. Um das Zusammensein in einem noch nicht beschriebenen Territoriums, einer sinnbildlichen Wüste. Die Wölf:innenherde entzieht sich der „heterokapitalistischen” Gesellschaft und ihres Blicks. 

Das Wort „Capucha“, nicht ganz gleichbedeutend mit Balaklava, führt noch auf eine andere Fährte. Obwohl sie mit „Kapuze“ übersetzt wird, kann die „Capucha“ auch komplett gesichtsverhüllende Formen annehmen. In der spanischsprachigen Welt hat sie ebenfalls einen feministischen Beigeschmack. Sie ist eng mit der chilenischen Frauenbewegung verbunden, die durch die Revolte vom 18. Oktober 2019 Momentum gewann - einer sozialen Protestbewegung, deren Auslöser ursprünglich Teuerungen des öffentlichen Verkehrs waren und die sich bald zum Dreh- und Angelpunkt für Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit entwickelte. Unzählige Schülerinnen, Studentinnen und junge Frauen gingen damals mit Capucha auf die Straße, um sich vor dem Tränengas der Polizei zu schützen, und entwickelten nebenbei ein eigenes ästhetisches Vokabular, das ihnen erlaubte, Individualität auszudrücken und gleichzeitig „under cover“ zu bleiben. Die Künstlerin Eugenia Vargas-Pereira teilt diese Beobachtung auf ihrer Website. Mit ihrer annotierten Fotoserie tus ojos cuentan la história (deine Augen erzählen die Geschichte) hat sie ein poetisches Zeitzeugnis erschaffen. Portraitfotos zeigen die Demonstrantinnen in ihren Capuchas. Eugenia schreibt:

 „They elaborate beautiful capuchas, balaclava style embellished with intricate embroidery, pearls, feathers, and chains. […] During the social uprising, women put their bodies at the center of the conflict, with distinctive masks that make them highly visible amongst the multitude.“ (4)

(Sie entwickeln wunderschöne Capuchas im Balaklava-Stil, dekoriert mit feinem Stickmuster, Perlen, Federn und Ketten. [...] Während der sozialen Unruhen stellen Frauen ihre Körper ins Zentrum des Konflikts, mit auffälligen Masken, die ihnen große Sichtbarkeit in den Massen verleihen.)

Ein Stichwort, das dem semantischen Feld von Verhüllung eigentlich gegenläufig ist, ist „Sichtbarkeit“. Die Bewegung verwendet das Verhüllen subversiv, um einzeln aufzufallen und sich zu einer Gruppe zu bekennen. Damit treffen sie einen Nerv, denn Frauen*rechte,  bzw. Rechte für alle Geschlechter, haben schon immer Individualität (Selbstbestimmung) und Solidarität (ein besseres Leben für alle) vereint.

1 vgl. „Handarbeit“ im Sinne einer textilen Arbeit, so wie unsere Mütter und Großmutter noch Handarbeiten als Schulfach hatten. 

2 https://www.channel4.com/news/battle-of-the-balaclavas-the-young-feminists-taking-on-putin

3 Das Wort “Frau*” mit Sternchen verwende ich, um alle mitzumeinen, die sich für die kulturelle Kategorie Frau entschieden haben.

4 https://eugeniav.typepad.com/photos/aa_mujeresinsurgentes/qa6a4747-copy.html

Jonathan Seiffert

Gerade zur winterlichen Jahreszeit vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht auf das Modephänomen der letzten Jahre stößt: die Balaklava - (Sturm-) Haube. Es gibt sie in verschiedenen Varianten: Meistens aus Baumwolle gestrickt, mal ist dabei das ganze Gesicht freigelegt, mal ist sie mit Augen- und Mundöffnungen versehen. Historisch betrachtet lag ihre Funktion im Schutz britischer Soldaten vor der Kälte während des Krimkrieges (1853-56). Doch in den folgenden Jahren hat sich die Sturmhaube in verschiedenen Bereichen etabliert. Oft dient sie zum Schutz der Identität, sei es bei Spezialeinheiten der Polizei und Militär, bei Demonstrierenden, bei Terroristen und Kriminellen oder auch bei Fetischpartys.

Auch in derdie bildenden Kunst hat die Balaklava ihren Weg gefunden. Bereits 1986 fertigte Rosemarie Trockel fünf Sturmhauben an, die mit verschiedenen Mustern versehen sind, darunter dem Playboylogo, Hammer und Sichel oder Hakenkreuze,die auf unsere Lebensmuster und Identität verweisen sollen. In der Mode hat sie zunächst ihre ursprüngliche Funktion als Kälteschutz beibehalten. Als richtiges Highfashion Accessoire erschien sie erstmals 2018 auf den Laufstegen von Calvin Klein und Gucci. Doch erst zwei Jahre später entwickelte sie sich dann zum Trend als andere Modehäuser wie Givenchy, Miu Miu oder Stella McCartney ein Comeback wagten und ihre Models reihenweise mit der Kopfbedeckung ausstatteten.

Eine Symbiose zwischen Kunst und Mode ist das Wiener Label „Wiendarf“, das von der Fotografin Valentina Schandl und dem Künstler TOMAK im Jahr 2019 gegründet wurde. Ihr Slogan „Wien darf nicht Österreich werden“ kann als Antwort auf die jüngsten innenpolitischen Entwicklungen dieser Zeit gewertet werden. Die ÖVP hatte unter Sebastian Kurz mit der FPÖ koaliert und gemeinsam die Regierung gebildet, bis diese nach den Aufdeckungen, die als „Ibiza-Affäre“ in die Geschichtsbücher eingegangen sind, zusammenbrach. 

Der Aufstieg und die Popularität der FPÖ liegen jedoch schon weiter zurück. Bei der Wahl zum Bundespräsidenten 2016 lagen Alexander van der Bellen und Norbert Hofer nach dem zweiten Wahlgang nur 30.000 Stimmen auseinander. Österreich schien sich zur Hälfte in ein rechtes und ein liberales Lager aufgeteilt zu haben. Dass Wien seit jeher eine rote Hochburg ist und sämtliche Landesregierungen der Zweiten Republik von der SPÖ gestellt wurden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das politische Klima in weiten Teilen des Landes ein anderes ist. Dies ließ sich auch an den Wahlerfolgen von Sebastian Kurz, der sich vehement gegen die Immigration von Geflüchteten gestellt hatte, festmachen. 

Die Aufforderung, dass Wien nicht Österreich werden darf, kann daher eindeutig als politisches Statement aufgefasst werden. Ein Statement, dass man sich auf die Brust schreibt und klar nach außen trägt. Passend dazu gibt es ein Foto des Labels, das eine Frau mit Balaklava und nacktem Oberkörper zeigt, auf deren Dekolleté der Slogan geschrieben ist. Durch die Sturmhaube verändert sich die Botschaft. Sie wird eindringlicher. Sie zeigt, dass Wien sich auflehnt und auch zu radikalem Protest bereit ist. Dass die Gefahr besteht, dass eine politische Grenze überschritten wird, die nicht hinzunehmen ist. Sie ist eine Drohung, ein Spiel mit dem, was passieren könnte, wenn sich das politische Klima weiter verschlechtert. Dass auf der Balaklava das Wappen der Stadt und nicht die Flagge des Landes eingestickt ist, gibt die Identifikation der Träger*in mit der politischen Heimat preis. Neben der Sturmhaube und dem T-Shirt mit dem Slogan gibt es weitere Produkte, die auf politische Ereignisse referieren: Hoodies mit dem Logo des (Not-) Reisepasses und dem des Impfpasses. Vor allem Letzterer sollte als klares Statement dienen, dass man geimpft ist und die Impfung gegen Covid-19 für sinnvoll erachtet. Von politischen Vertreter*innen der FPÖ waren zu Beginn der Coronaepedemie teilweise krude, der Wissenschaft konträre Einschätzungen über die Gefahr des Virus verbreitet worden. Dies gipfelte in der Empfehlung vermeintlich alternativer Schutz- und Behandlungsmaßnahmen wie Pferderentwurmungsmittel. Dass es sich bei den Coronaleugner*innen nicht um eine zu vernachlässigende Minderheit der Bevölkerung handelt, ließ sich an den fortwährenden Demonstrationen und Umfragen feststellen.

Die Kleidungsstücke von „Wiendarf“ nehmen damit verschiedene Funktionen ein. Sie sind einerseits ein politisches Statement und dienen als Bekenntnis für ein liberales Miteinander. Sie sind aber auch Ausdrucksmittel für Protest. Dies wird besonders deutlich durch die Balaklava, die damit viel mehr als nur ein modisches Accessoire ist. Sie wird zum Symbol von Widerstand und Bereitschaft, für die eigenen Werte einzustehen.Sie dient als Kampfansage einer anonymen Streitmacht, die das politische Ungleichgewicht anspricht. 

Balaklava: Kunst - Mode - Protestkultur

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