Viktoria Weber
Laura Stöckler
Laura Pattiss
Marlene Lahmer
Bild 1: Hanne Darboven, Ein Jahrhundert-ABC, 1970–71, Courtesy der Künstlerin und Sprüth Magers; Isa Genzken, Untitled, ca. 1976–77, Courtesy der Künstlerin und Galerie Buchholz, Berlin; Kunsthalle Wien 2025; Foto: kunst-dokumentation.com, © Bildrecht, Wien 2025
Bild 2: Deborah Remington, Merthyr, 1966, Kunsthalle Wien 2025, © Marlene Lahmer
Bild 3: Besucher*in vor Donna Haraway Zitat, Kunsthalle Wien 2025, © Marlene Lahmer
Bild 4: VALIE EXPORT, Stand Up. Sit Down, 1989, Courtesy der Künstlerin, © Bildrecht, Wien 2025
Bild 5: VALIE EXPORT, Selbstportrait mit Stiege und Hochhaus, 1989, Courtesy der Künstlerin, © Bildrecht, Wien 2025
Bild 6: Rebecca Allen, Swimmer, 1981, Kunsthalle Wien 2025, © Marlene Lahmer
Bild 7: Rebecca Allen, Girl Lifting Skirt, 1974, Kunsthalle Wien 2025, © Marlene Lahmer
Bild 8: Lynn Hershman Leeson, X-Ray Woman, 1966, Sammlung der Hartwig Art Foundation. Promised gift to the Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed / Rijkscollectie
Bild 9: Lynn Hershman Leeson, Self Portrait as Another Person, 1965, Kunsthalle Wien 2025, © Marlene Lahmer
Bild 10: Alison Knowles, The House of Dust, 1967, Kunsthalle Wien 2025, © Laura Pattiss
Bild 11: VALIE EXPORT, Concrete Computer DisPlay, 1988/1990, Kunsthalle Wien 2025, Courtesy der Künstlerin; Foto: kunst-dokumentation.com, © Bildrecht, Wien 2025
Bild 12: Monique Nahas / Hervé Huitric, Untitled, 1971, Kunsthalle Wien 2025, © Laura Pattiss
Bild 13: Ausstellungsansicht Radical Software: Women, Art & Computing 1960–1991, Kunsthalle Wien 2025, Foto: kunst-dokumentation.com
Bild 14: Charlotte Johannesson, Untitled, 1981–85, Kunsthalle Wien 2025, Courtesy der Künstlerin; Hollybush Gardens, London; und Croy Nielsen, Wien; Foto: kunst-dokumentation.com
Bild 15: Ausstellungsansicht Radical Software: Women, Art & Computing 1960–1991, Kunsthalle Wien 2025, Foto: kunst-dokumentation.com
Bild 16: Lynn Hershman Leeson, X-Ray Woman, 1966, Sammlung der Hartwig Art Foundation. Promised gift to the Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed / Rijkscollectie
Viktoria Weber
Die Gruppenausstellung <i> Radical Software:Women, Art & Computing 1960-1991 </i> wirft einen Blick auf die wegweisende, jedoch oft unbeachtete Rolle von weiblich gelesenen Künstler:innen in der digitalen Kunst. Zwischen zahlreichen Bildschirmen und Computergrafiken finden sich in der Ausstellung in der Kunsthalle Wien (28.02.–25.05.2025) auch einige Werke, die nicht mittels computergestützter Systeme und Programmiersprachen entwickelt wurden, aber dennoch den fantastisch-träumerischen Zeitgeist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in sich tragen. Eines dieser Werke soll im Folgenden exemplarisch in seinen thematischen Referenzen und formalen Bestandteilen analysiert werden. <br />
In Lynn Hershman Leesons Werk <i> X-Ray Woman </i> (1966) blickt uns der Körper der Künstlerin selbst entgegen. Eine anatomisch anmutende Mixed-Media-Zeichnung setzt sich vom weiß-grauen Hintergrund ab. Dieser verschluckt zum Teil die Arme und Füße der Abgebildeten – Wo fängt der Körper an, wo hört er auf? Das Innere des Körpers, mit klaren Konturlinien hervorgehoben, offenbart alles andere als ein akkurates Röntgenbild. Denn neben den farblich akzentuierten, menschlichen Organen ist er befüllt mit maschinellen Zahnrädern, angedeuteten Winkeln und Förderbändern. Die zwei kreisförmigen Zeichnungen in den Hüftknochen erinnern an Leonardo da Vincis <i> Vitruvianischen Menschen </i> (ca. 1490) und ziehen die historische Referenz zur Bemessung des menschlichen, eindeutig männlichen, Körpers. In der Gebärmutter der abgebildeten Schwangeren liegen drei Föten, die auf den weiblichen Körper als Reproduktionsmaschine anspielen. Gekonnt nutzt Leeson die Deckkraft der Acrylfarbe, um die unterschiedlichen Ebenen des Werks zu verdeutlichen. Dabei entsteht eine diagrammhafte Darstellung, die ein anatomisches Menschenbild, wie es von René Descartes in der Leib-Seele-Theorie erläutert wurde, nicht nur negiert, sondern gar einen Hybrid zwischen Organismus und Maschine kreiert. <br />
Das Werk entstand in einem spezifischen, persönlichen wie gesamtgesellschaftlichen Kontext; denn nicht nur war die Künstlerin 1965 selbst im Zuge einer Schwangerschaft für längere Zeit im Krankenhaus und musste sich der medizinischen Begutachtung ihres Körpers unterziehen, auch erschienen in den 1960er Jahren die ersten Schriftwerke zu Cyborgs (kurz für kybernetischer Organismus). Im 1985 veröffentlichten <i> Cyborg Manifesto </i> löst Donna Haraway tradierte Dualismen der westlichen Kulturgeschichte auf, betont dabei die Kontingenz von Geschlechterkategorien und markiert somit einen gedanklichen Aufbruch in die Postmoderne. Auch die Kuratorin Michelle Cotton sieht Verbindungen zwischen dem Gedankenkonstrukt Cyborg und Leesons <i> X-Ray Woman. </i><br />
So findet die Arbeit trotz ihres analogen Charakters Platz in der Ausstellung, denn die abgebildete Frau ist hier nicht nur das Objekt techno-medizinischen ‚Fortschritts‘, sondern als Schöpferin auch Subjekt und Akteurin technologischer Entwicklungen. <i>X-Ray Woman </i> steht exemplarisch für die Imagination eines neuen (künstlichen) Menschen im Schmelzpunkt von Realität und Fiktion. Die Ausstellung in der Kunsthalle Wien gibt einen Einblick in die vielfältigen künstlerischen Praxen, die sich thematisch oder medienbasiert mit den technologischen Entwicklungen zwischen 1960 und 1991 auseinandersetzen. Dabei offenbart sie retrospektiv das Potential künstlerischer Arbeiten, deren Utopien heute tagtäglich realer werden. </body>
Laura Stöckler
Es passiert mir selten oder zumindest nicht mehr besonders häufig, dass mich Kunst und Kultur an einen Punkt bringen, an dem ich mir denke: „Ach ja, stimmt. Jetzt stoße ich an meine unbewusst gegenderten Grundannahmen.“
Mit diesem rückblickend leicht selbstgefälligen Erfahrungswert im Gepäck betrete ich die Ausstellung Radical Software in der Kunsthalle Wien – und werde schon im Eingangsbereich durch eine Zeitleiste mit wegweisenden Erfindungen von Frauen* in Computer, Kunst und Wissenschaft eines Besseren belehrt. Beim Anblick dieser Meilensteine wird mir schlagartig bewusst: Es tut gut, diese Bilder zu sehen. Sie verschieben mit einer fast schon brutalen Einfachheit ein über Jahre verinnerlichtes Bild – das Bild vom (weißen) Mann als technikaffiner Naturwissenschaftler.
Ich blinzle. „Wieso bist du noch hier?“ frage ich ihn, doch er hört mich gar nicht. Er konzentriert sich zu sehr auf seine wichtigen Aufgaben. Ich schiebe ihn aus meinem gedanklichen Bildraum. Doch schon mit der nächsten Assoziation taucht er wieder auf: Der Mann im weißen Kittel, der Mann, der an einem Rechner schraubt, der Mann, der alles erfunden hat – oder alles Wichtige. Er war länger nicht mehr da; dafür bleibt er jetzt umso hartnäckiger auf der Bildfläche.
Und dabei überschreibt Radical Software doch bewusst auf das allgegenwärtige historische Narrativ des Mannes als Erfinder, Innovator, Universalgenie. Er rächt sich jetzt bei mir persönlich dafür. Ich nehme es ihm auch persönlich übel und betrete latent (von ihm) genervt den ersten Ausstellungsraum.
Alison Knowles fängt mich auf. Ihr computergeneriertes Gedicht House of Dust (1967) ist ein in Echtzeit auf einem Nadeldrucker generierter modularer Vierzeiler. Erst nach 400 Iterationen wiederholt sich der Vierzeiler, erfahre ich später auf der Website der Kunsthalle Wien. So lange dauert es zum Glück nicht, bis ich wieder aufnahmefähig bin.
Die Ausstellung setzt sich zum Ziel, einen bislang marginalisierten Kanon weiblich gelesener Pionier*innen der digitalen Kunst vor dem Internetzeitalter sichtbar zu machen – und geht dabei noch einen Schritt weiter: Neben bekannteren Künstler*innen wie Vera Molnár, werden die drei Etagen der Kunsthalle Wien mit über 100 Arbeiten von 50 Künstler*innen bespielt und bieten so einen Überblick über diese 30 Jahre Kunst- und Technikgeschichte.
Vor allem im Erdgeschoss funktioniert das: Großzügig und museal präsentiert, finden die Arbeiten hier Raum zum Atmen, zum Wirken – sie erinnern an die Mitte des 20. Jahrhunderts entstandene Konzeptkunst und Minimal Art und erzählen doch ihre eigene Geschichte. Der Abschnitt Zeroes and Ones zeigt überwiegend papierbasierte Werke, die sich mit den Verflechtungen von Sprache, Code und Bildlichkeit auseinandersetzen.
Alison Knowles ist hier vertreten, ebenso Hanne Darboven mit ihrer Arbeit Ein Jahrhundert ABC (1970-71), deren 19 Paneele den Körper der Künstlerin gleichsam in eine Maschine verwandeln und zugleich den Zeitfaktor handschriftlicher Aufzeichnung sichtbar machen.
Zu sehen sind auch computergenerierte Zeichnungen von Inge Borchardt und Joan Truckenbrod sowie einer der wenigen performativen Beiträge der Ausstellung: Barbara T. Smiths angenehm lakonisches Werk Outside Chance (1975), bei dem sie 3.000 computergenerierte Schneeflocken-Ausdrucke aus dem Fenster eines Hotelzimmers in Las Vegas rieseln ließ. Smith war vor ihrer Karriere als Performancekünstlerin Hausfrau – 2011 widmete man ihr eine Einzelausstellung mit dem Titel The Radicalization of a ’50s Housewife. Diese Information finde ich allerdings weder vor Ort noch auf der Websit der Kunsthalle Wien – und frage mich, wie viele weitere Biografien, Kontexte und Hintergründe mir während des Ausstellungsbesuches wohl entgangen sind. Denn die Wissensvermittlung gestaltet sich nicht ganz einfach – nicht alle Arbeiten sind mit Wandtexten oder Namensschildern versehen, häufig muss man sich mit kleinen, aus Papier gefalteten Katalogen behelfen, die das Zuordnen von Werken und Künstler*innen erschweren. Dennoch – der Raum verführt durch seine Zurückhaltung und seine Klarheit.
Von Zurückhaltung kann im Obergeschoss nicht mehr die Rede sein: Unzählige Bildschirme, jeweils mit Kopfhörern versehen, laden zum Schauen ein; Werke in verschiedensten Medien und Formaten breiten sich weitläufig aus. War das Erdgeschoss eher distanziert, so prasseln hier unzählige Eindrücke auf mich ein: Gedanken, Bilder, Ideen.
Sie fühlt sich überwältigend an, diese Informationsdichte. Vielleicht liegt das am ehrgeizigen Versuch, einen möglichst ausführlichen, multiperspektivischen Kanon zu etablieren. Was das Obergeschoss dadurch im besten Sinne vermittelt, ist ein Gefühl von Schaffenswut, von schöpferischem Überfluss. Wie oft wird die Auslassung von Frauen* in der Kunstgeschichte dem Argument eines Mangels an weiblichen Künstler*innen vom Tisch gekehrt? Oder in der Technik und den Wissenschaften? Ausstellungen wie Radical Software entlarven derartige Rechtfertigungskonstruktionen schlicht als hegemonial-patriarchale Schutzbehauptung und als Selbstzweck.
Also, weißer Mann vor meinem inneren Auge: Wir brauchen dich nicht! Es ist nicht schwer, und es wäre auch nie schwer gewesen, eine Halle allein mit der frühen digitalen Kunst von Frauen* zu füllen. Wie plakativ. Wie befreiend!
Gleichzeitig ertappe ich mich dabei, den einzelnen Positionen nicht mehr die eingehende Betrachtung schenken zu können, die sie verdient hätten. Überstimulation setzt ein – und eine gewisse Frustration. Ich habe das Gefühl, zu wenig zu wissen über diese Künstler*innen und ihre Kunst, über ihre Geschichten und Gedanken, um das mir hier angebotene wirklich fassen, verstehen und einordnen zu können, zumal kaum Wandtexte die einzelnen Abschnitte markieren oder Informationen zu den Künstler*innen bieten. Es gibt so viel zu verarbeiten; so viele Fragen tauchen auf und bleiben unbeantwortet.
Und plötzlich verschwinden sowohl die Frauen* als auch die Kunst selbst in einer eigenartigen Unübersichtlichkeit; Ich sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Geht es um die Frauen* und ihre Kunst, oder geht es darum, dass auch sie – wer hätte es gedacht – digitale Technologien und Computer als künstlerische Werkzeuge genutzt haben? Setzt sie das den Männern gleich, oder liegt im „auch Frauen“ nicht doch wieder der weiße männliche Wissenschaftler und Künstler als Norm verborgen? Werden wir ihn jemals los?
Trotz derer Spannung zwischen Sichtbarkeit und Verständlichkeit steht es außer Frage, dass Michelle Cotton und ihr Team beachtliche Arbeit geleistet haben, um diese Ausstellung ins Leben zu rufen und eine bisher oftmals vernachlässigte Geschichte zu erzählen. Ein ambitionierter, fast schon euphorischer Ansatz feministischer Kunstgeschichtsschreibung und Kanonisierung, ermöglicht durch intensive Recherche, sorgfältige kuratorische Arbeit und Dokumentation. Vielleicht birgt Radical Software das Risiko, sich in seiner Fülle ein Stück weit zu verlieren – aber man verliert sich durchaus gern.
Laura Pattiss
Betritt mensch die Ausstellung Radical Software, gibt es zuerst viel zu lesen – notwendiges ‚Housekeeping‘, um die folgende Präsentation von über 40 Künstler*innen im Sinne der Kuratorin Michelle Cotton einzuordnen. Die Ausstellung will nicht weniger als die Geschichte computergenerierter Kunst erzählen: Von ihren Anfängen mit dem ersten Algorithmus, der 1843 von Ada Lovelace geschrieben wurde, bis zu Auseinandersetzungen zeitgenössischer Künstler*innen mit der ‚digitalen Revolution‘ ab den 1970ern. Markante Parallelen zu gegenwärtigen Diskursen über Künstliche Intelligenz drängen sich unausweichlich auf.
Es ist eine Geschichte, die sich anhand ihrer künstlerischen Erzeugnisse mühelos ohne Männer erzählen lässt – dennoch schlägt die Ausstellung damit in eine ungewohnte Kerbe. Technikgeschichte wird eng verwoben mit gesellschaftlichen und existenziellen Umwälzungen, die sich in ihr begreifen - bis heute sind die Protagonisten dieser Geschichte in den meisten Erzählungen männlich. Betritt mensch die Ausstellung Radical Software: Women, Art & Computing 1960–1991, wird es analytisch und das neu gewonnene Werkzeug Computer in seinen Kompetenzen ausgelotet. Da sind Arbeiten von Inge Borchardt, die 1966 etwa ausgehend von mathematischen Oszillatoren und Differenzialgleichungen geometrische Gebilde programmierte und zu Papier brachte, oder von Isa Genzken, deren Skulpturen computergenerierte geometrische Strukturen zugrunde liegen. Die Arbeitsweisen und Voraussetzungen der Künstler*innen unterscheiden sich fundamental: während Borchardt beruflich am Deutschen Elektronen-Synchrotron als Programmiererin tätig war und mit der Materie dahingehend vertraut, arbeitete Genzken für ihre Entwürfe interdisziplinär mit dem Physikstudenten Ralph Krotz zusammen. Der erste Ausstellungsraum wird akustisch von Alison Knowles Dot-Matrix-Drucker (The House of Dust, 1967) eingenommen: in regelmäßigen Abständen begleiten Piepen und Rascheln das Anwachsen des Papierstapels unterhalb des Geräts, das von seinem Sockel aus unermüdlich Daten ausgibt. Es handelt sich dabei allerdings um keine Messungen oder vorgegebenen Texte, sondern um Gedichte, die sich aus eingespeisten Fragmenten immer wieder neu zusammensetzen. Auch hier erweist sich frühe Computerkunst als Spielfeld der Interdisziplinarität – zog Knowles doch für die Realisierung des Werks den Komponisten James Tenney hinzu. Die maschinelle Produktion der Vierzeiler wirft Fragen auf, die unverändert in gegenwärtigen Diskursen gestellt werden: Sind Maschinen zu künstlerischen Leistungen fähig? Wer ist Urheber:in solcher Leistungen?
Die Ausstellung nähert sich technischen Neuerungen auch unmittelbar durch die Untersuchung ihrer Materialität und Ästhetik an, wenn etwa Ulla Wiggen Schaltkreise zum Gegenstand ihrer Gemälde (Oändligt variabel, 1968) macht. Bei Monique Nahas und Hervé Huitric werden hingegen Computerlochkarten zu Akteurinnen im Bild, wenn die Künstler:innen sie mit Gouache bemalen und auf einer Holzplatte anordnen (Untitled, 1971). Dadurch erzielen sie eine beinahe textile Optik, die – ganz ähnlich der Webkunst – keine Trennung in Bildträger und Malschicht mehr zulässt. Im oberen Stock der Ausstellung wird dieser Faden buchstäblich weitergesponnen. Die weiblich konnotierte textile Kunst wurde lange Zeit in der Kunstgeschichte vernachlässigt und innerhalb von Kunsthandwerk und Design als separat und minder betrachtet. Nun wird ihre Relevanz einmal mehr demonstriert – diesmal mit Blick auf die Technikgeschichte. Das erste binäre System zur Programmierung wurde 1837 von dem Mathematiker Charles Babbage für Webstühle entwickelt, um Muster maschinell herzustellen. Wie mithilfe von (selbst gelernten) Programmiersprachen komplexe Bilder in Webmuster übersetzt werden können, zeigt sich anhand der Textilarbeiten Charlotte Johannessons, anhand derer sie über die Bildsprache der Popkultur und Massenmedien reflektiert. Diese Überlegungen sind auch integraler Bestandteil der Oeuvres VALIE EXPORT und Dara Birnbaum, die etwa mit Wandinstallationen von technischen Gerätschaften und Found-Footage-Videomontagen der Massenmedien aufwarten. Überhaupt wird es im oberen Stock lauter, greller, mutiger. Die Digitalität und die kritische, aber auch spielerische Auseinandersetzung mit ihr halten mit dem Aufkommen des Home Computings Einzug in den eigenen vier Wänden. Kein Zugang zu Forschungsstätten und einschlägiges Wissen sind dafür mehr nötig und die gestalterischen Resultate mannigfaltig.
Die Flut an Sinneseindrücken, die dadurch über den Ausstellungsraum und die Besucher:innen hereinbricht, versinnbildlicht die Überladung der Gesellschaft mit neuen Möglichkeiten, Gefahren und Unsicherheiten durch das angebrochene „digitale Zeitalter“ . Das künstlerische Abtasten und Ausloten dieses Unbekannten wird unmittelbar nachvollziehbar, überfordert und inspiriert gleichermaßen angesichts einer neuen medialen Revolution.
Verlässt mensch die Ausstellung Radical Software, ist der Blick auf die Beziehung von Kunst und Technik ein anderer. Künstlerische Auseinandersetzung wird hier nicht als bloße Spielerei oder reine Reaktion, sondern zutiefst menschliches Mittel zur Bewältigung, Gestaltung und Interpretation tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen spürbar. Eine solche Erzählung der Technikgeschichte ist zweifellos radikal.
Marlene Lahmer
Radical Software: Women, Art, Computing 1960–1991 takes a look at the conditions and affordances of computer technology in the pre-internet period – specifically at how it influenced female* pioneers in art and technology in their taking of space and their use of tools and infrastructure. The exhibition makes one thing clear: there is a vast expanse of ground to cover in terms of historical reevaluation. And it takes its responsibility seriously to create a new female*-centered canon of the media history of the computer – with over 50 exhibited artists.
A timeline in the anteroom informs us that the word “computer” was first used in 1613 to refer to a person who “computes”, i.e. calculates something. My subsequent research reveals that one of the earliest uses of “computation” refers to astronomy, where it meant to calculate the trajectory of a celestial body. Astronomic computation is a field in which many advancements were made by female* researchers, such as Hortense Lepaud (France), Caroline Hershel (UK), Maria Mitchell (US) and later the Harvard Computers, a crew of women* who were hired by astronomer Edward Charles Pickering in the late 19th century to cartograph the stars based on new photographic images taken through the telescope at Harvard College Observatory. Browsing the history of computing on Wikipedia, sentences like, “W.F. Raphael Weldon, [...] worked with his wife, Florence Tebb Weldon, who was his computer.” indicate an instrumental and hierarchical relationship between scientist and computer. “Computer” seems to have been a job that lead to groundbreaking contributions in science and was often carried out by women* who were not always credited for their discoveries under the assumption that theirs was a diligent and studious assistant's task.
Taking the human computer as a starting point of the exhibition is a significant piece of context for some of the artworks. It lets us reflect on commonplace patriarchal imaginations of women*’s work being serviceable and instrumental rather than inspired by individual genius (the idea of ‘individual genius’ being arguably a patriarchal invention, too). Also, conflating female* subjects with the idea of (human) computers foreshadows new relationships between body and machine that hold a potential for dissent, glitch and self-actualisation. From the plethora of material and artistic positions presented in Radical Software, I formulate two questions thus:
How can these female* artists enter a history in which they are already contained? And then, how do they go beyond being contained there, beyond being instrumental?
How are their encounters with the world reconfigured through computer technology – and how does that, in turn, reconfigure them as subjects?
I turn to the exhibited works of Hanne Darboven, Deborah Remington, VALIE EXPORT, Lynn Hershman Leeson, and Rebecca Allen to find answers.
Hanne Darboven's work Ein Jahrhundert-ABC (“A Century ABC”, 1970-71) fills many square metres of wall space as we enter the exhibition. The work consists of 19 large panels, made of 42 A4 sheets each, filled with monotonous strokes, reminiscent of the tips of an electrocardiogram, that are identical but handwritten. Arguably, the artist uses a meticulously choreographed gesture of her body to create a computed score. It speaks of repeated action, (machine) reproducibility, the capturing of time studiously spent – and not least: of taking space with one’s creation and utterance.
Deborah Remigton’s oil painting Merthyr (1966) depicts an underground mining spot. It shows a fixture that drills into the ground and, at the same time, bears conspicuous resemblance to a gynaecological speculum or a uterus. The female* connoted organ gathers the notion of a penetrator here – it becomes an uncanny, potentially dangerous, robotic character, like a hybrid creature from a science fiction film. Remington uses the imagery of an electric machine to counter the docility of the female womb as a cavity, and, by extension, the long-traded image of woman as a vessel waiting to be filled. Instead, Remington grants the womb an agency that borders on the destructive and extractivist.
A Donna Haraway quote introduces a section of the exhibition dedicated to machine-like configurations of women*’s bodies: “I would rather be a cyborg than a goddess.”. It is taken from her seminal treatise, A Cyborg Manifesto (1985), whichthat aims to dissolve the so-perceived borders of the human (read gendered) body, animal and machine on which much of the humanist heritage in Western philosophical tradition is based. The quote places faith in emerging technologies to aid the emancipation and self-actualisation of those who inhaibit the cultural category woman*. The idea to create one’s own body through technology has continued significance in queerfeminist discourses today, and, in the exhibition, we can see how it has sparked empowered, monstrous images of femininity.
In her photographs Stand Up. Sit Down (1989) and Selbstportrait mit Stiege und Hochhaus (“Self Portrait with Stairs and Skyscraper”, 1989), VALIE EXPORT blows up the proportions of female* bodies and merges them with building fronts, i.e., architectural elements. At the time, EXPORT frequently worked with putting her own body into tension with existing city architecture and its patriarchal inscriptions. In these pieces, it is a taste for the megalomaniac that dominates the scene. Her protagonists radiate a nonchalant awareness of their potency.
The works of Rebecca Allen, a pioneer in digital animation and virtual reality, show what could not be seen on computer screens at her time. She addresses the absence of representations of female* bodies in the digital world. Swimmer (1981) is credited to be the first 3D animation of a female* body: on a vertically placed screen, a vague, illuminated female* figure dives downward against a black background. Girl Lifting Skirt (1974), on the other hand, is a line animation that shows a female*-identified body from knees to hips, with the protagonist lifting her skirt to reveal her garters below. In today’s world, where the internet and digital technologies have led to the commodification of female* bodies on an unprecedented scale, it is hard to imagine that there once was a fight for female* bodies to appear on screen at all.
Lynn Hershman Leeson used rather traditional artistic materials to imagine transformations and recreations of her own body. The painting X-Ray Woman (1966) shows the artist's interior body in which mechanical gear and organs interlace to constitute something like a ‘functioning machine’. What is interesting about this depiction is that we do not know whether it is a situation of exploitation /instrumentalisation or of self-chosen emancipation /empowerment. In Self Portrait as Another Person (1965), the artist cast a counterfeit of her face from wax, equipped it with a wig and red lipstick to make the bust look like a ‘proper woman’, and placed a sound recorder below it on which her voice asks the visitor intimate questions. The work description informs us that the work caused such an outrage when first exhibited that it was taken down within 24 hours. I wonder what had offended the audience so much. Showcasing the technical reproduction (and thereby the constructedness) of a serviceable, tender human being who tries to coax an emotional response? Today, fantasies and actualisations of android machines posing as humans are omni-present, but at the time, a Frankenstein-esque border seems to have been crossed. The question resonates with Donna Haraway's liquidation of definitions that safely put us in the realm of the human or non-human.
I glance one last time at giant VALIE on a building facade and at Lynn’s guts full of cogwheels. It seems these machine-body -representations have stepped away fromquite being serviceable and obeying the patriarchal expectations inscribed on them. The exhibition reminds us that the role of computer technology (in the broadest sense) in pivoting dissident female body images should not be underestimated.
Viktoria Weber
Die Gruppenausstellung <i> Radical Software:Women, Art & Computing 1960-1991 </i> wirft einen Blick auf die wegweisende, jedoch oft unbeachtete Rolle von weiblich gelesenen Künstler:innen in der digitalen Kunst. Zwischen zahlreichen Bildschirmen und Computergrafiken finden sich in der Ausstellung in der Kunsthalle Wien (28.02.–25.05.2025) auch einige Werke, die nicht mittels computergestützter Systeme und Programmiersprachen entwickelt wurden, aber dennoch den fantastisch-träumerischen Zeitgeist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in sich tragen. Eines dieser Werke soll im Folgenden exemplarisch in seinen thematischen Referenzen und formalen Bestandteilen analysiert werden. <br />
In Lynn Hershman Leesons Werk <i> X-Ray Woman </i> (1966) blickt uns der Körper der Künstlerin selbst entgegen. Eine anatomisch anmutende Mixed-Media-Zeichnung setzt sich vom weiß-grauen Hintergrund ab. Dieser verschluckt zum Teil die Arme und Füße der Abgebildeten – Wo fängt der Körper an, wo hört er auf? Das Innere des Körpers, mit klaren Konturlinien hervorgehoben, offenbart alles andere als ein akkurates Röntgenbild. Denn neben den farblich akzentuierten, menschlichen Organen ist er befüllt mit maschinellen Zahnrädern, angedeuteten Winkeln und Förderbändern. Die zwei kreisförmigen Zeichnungen in den Hüftknochen erinnern an Leonardo da Vincis <i> Vitruvianischen Menschen </i> (ca. 1490) und ziehen die historische Referenz zur Bemessung des menschlichen, eindeutig männlichen, Körpers. In der Gebärmutter der abgebildeten Schwangeren liegen drei Föten, die auf den weiblichen Körper als Reproduktionsmaschine anspielen. Gekonnt nutzt Leeson die Deckkraft der Acrylfarbe, um die unterschiedlichen Ebenen des Werks zu verdeutlichen. Dabei entsteht eine diagrammhafte Darstellung, die ein anatomisches Menschenbild, wie es von René Descartes in der Leib-Seele-Theorie erläutert wurde, nicht nur negiert, sondern gar einen Hybrid zwischen Organismus und Maschine kreiert. <br />
Das Werk entstand in einem spezifischen, persönlichen wie gesamtgesellschaftlichen Kontext; denn nicht nur war die Künstlerin 1965 selbst im Zuge einer Schwangerschaft für längere Zeit im Krankenhaus und musste sich der medizinischen Begutachtung ihres Körpers unterziehen, auch erschienen in den 1960er Jahren die ersten Schriftwerke zu Cyborgs (kurz für kybernetischer Organismus). Im 1985 veröffentlichten <i> Cyborg Manifesto </i> löst Donna Haraway tradierte Dualismen der westlichen Kulturgeschichte auf, betont dabei die Kontingenz von Geschlechterkategorien und markiert somit einen gedanklichen Aufbruch in die Postmoderne. Auch die Kuratorin Michelle Cotton sieht Verbindungen zwischen dem Gedankenkonstrukt Cyborg und Leesons <i> X-Ray Woman. </i><br />
So findet die Arbeit trotz ihres analogen Charakters Platz in der Ausstellung, denn die abgebildete Frau ist hier nicht nur das Objekt techno-medizinischen ‚Fortschritts‘, sondern als Schöpferin auch Subjekt und Akteurin technologischer Entwicklungen. <i>X-Ray Woman </i> steht exemplarisch für die Imagination eines neuen (künstlichen) Menschen im Schmelzpunkt von Realität und Fiktion. Die Ausstellung in der Kunsthalle Wien gibt einen Einblick in die vielfältigen künstlerischen Praxen, die sich thematisch oder medienbasiert mit den technologischen Entwicklungen zwischen 1960 und 1991 auseinandersetzen. Dabei offenbart sie retrospektiv das Potential künstlerischer Arbeiten, deren Utopien heute tagtäglich realer werden. </body>
Laura Stöckler
Es passiert mir selten oder zumindest nicht mehr besonders häufig, dass mich Kunst und Kultur an einen Punkt bringen, an dem ich mir denke: „Ach ja, stimmt. Jetzt stoße ich an meine unbewusst gegenderten Grundannahmen.“
Mit diesem rückblickend leicht selbstgefälligen Erfahrungswert im Gepäck betrete ich die Ausstellung Radical Software in der Kunsthalle Wien – und werde schon im Eingangsbereich durch eine Zeitleiste mit wegweisenden Erfindungen von Frauen* in Computer, Kunst und Wissenschaft eines Besseren belehrt. Beim Anblick dieser Meilensteine wird mir schlagartig bewusst: Es tut gut, diese Bilder zu sehen. Sie verschieben mit einer fast schon brutalen Einfachheit ein über Jahre verinnerlichtes Bild – das Bild vom (weißen) Mann als technikaffiner Naturwissenschaftler.
Ich blinzle. „Wieso bist du noch hier?“ frage ich ihn, doch er hört mich gar nicht. Er konzentriert sich zu sehr auf seine wichtigen Aufgaben. Ich schiebe ihn aus meinem gedanklichen Bildraum. Doch schon mit der nächsten Assoziation taucht er wieder auf: Der Mann im weißen Kittel, der Mann, der an einem Rechner schraubt, der Mann, der alles erfunden hat – oder alles Wichtige. Er war länger nicht mehr da; dafür bleibt er jetzt umso hartnäckiger auf der Bildfläche.
Und dabei überschreibt Radical Software doch bewusst auf das allgegenwärtige historische Narrativ des Mannes als Erfinder, Innovator, Universalgenie. Er rächt sich jetzt bei mir persönlich dafür. Ich nehme es ihm auch persönlich übel und betrete latent (von ihm) genervt den ersten Ausstellungsraum.
Alison Knowles fängt mich auf. Ihr computergeneriertes Gedicht House of Dust (1967) ist ein in Echtzeit auf einem Nadeldrucker generierter modularer Vierzeiler. Erst nach 400 Iterationen wiederholt sich der Vierzeiler, erfahre ich später auf der Website der Kunsthalle Wien. So lange dauert es zum Glück nicht, bis ich wieder aufnahmefähig bin.
Die Ausstellung setzt sich zum Ziel, einen bislang marginalisierten Kanon weiblich gelesener Pionier*innen der digitalen Kunst vor dem Internetzeitalter sichtbar zu machen – und geht dabei noch einen Schritt weiter: Neben bekannteren Künstler*innen wie Vera Molnár, werden die drei Etagen der Kunsthalle Wien mit über 100 Arbeiten von 50 Künstler*innen bespielt und bieten so einen Überblick über diese 30 Jahre Kunst- und Technikgeschichte.
Vor allem im Erdgeschoss funktioniert das: Großzügig und museal präsentiert, finden die Arbeiten hier Raum zum Atmen, zum Wirken – sie erinnern an die Mitte des 20. Jahrhunderts entstandene Konzeptkunst und Minimal Art und erzählen doch ihre eigene Geschichte. Der Abschnitt Zeroes and Ones zeigt überwiegend papierbasierte Werke, die sich mit den Verflechtungen von Sprache, Code und Bildlichkeit auseinandersetzen.
Alison Knowles ist hier vertreten, ebenso Hanne Darboven mit ihrer Arbeit Ein Jahrhundert ABC (1970-71), deren 19 Paneele den Körper der Künstlerin gleichsam in eine Maschine verwandeln und zugleich den Zeitfaktor handschriftlicher Aufzeichnung sichtbar machen.
Zu sehen sind auch computergenerierte Zeichnungen von Inge Borchardt und Joan Truckenbrod sowie einer der wenigen performativen Beiträge der Ausstellung: Barbara T. Smiths angenehm lakonisches Werk Outside Chance (1975), bei dem sie 3.000 computergenerierte Schneeflocken-Ausdrucke aus dem Fenster eines Hotelzimmers in Las Vegas rieseln ließ. Smith war vor ihrer Karriere als Performancekünstlerin Hausfrau – 2011 widmete man ihr eine Einzelausstellung mit dem Titel The Radicalization of a ’50s Housewife. Diese Information finde ich allerdings weder vor Ort noch auf der Websit der Kunsthalle Wien – und frage mich, wie viele weitere Biografien, Kontexte und Hintergründe mir während des Ausstellungsbesuches wohl entgangen sind. Denn die Wissensvermittlung gestaltet sich nicht ganz einfach – nicht alle Arbeiten sind mit Wandtexten oder Namensschildern versehen, häufig muss man sich mit kleinen, aus Papier gefalteten Katalogen behelfen, die das Zuordnen von Werken und Künstler*innen erschweren. Dennoch – der Raum verführt durch seine Zurückhaltung und seine Klarheit.
Von Zurückhaltung kann im Obergeschoss nicht mehr die Rede sein: Unzählige Bildschirme, jeweils mit Kopfhörern versehen, laden zum Schauen ein; Werke in verschiedensten Medien und Formaten breiten sich weitläufig aus. War das Erdgeschoss eher distanziert, so prasseln hier unzählige Eindrücke auf mich ein: Gedanken, Bilder, Ideen.
Sie fühlt sich überwältigend an, diese Informationsdichte. Vielleicht liegt das am ehrgeizigen Versuch, einen möglichst ausführlichen, multiperspektivischen Kanon zu etablieren. Was das Obergeschoss dadurch im besten Sinne vermittelt, ist ein Gefühl von Schaffenswut, von schöpferischem Überfluss. Wie oft wird die Auslassung von Frauen* in der Kunstgeschichte dem Argument eines Mangels an weiblichen Künstler*innen vom Tisch gekehrt? Oder in der Technik und den Wissenschaften? Ausstellungen wie Radical Software entlarven derartige Rechtfertigungskonstruktionen schlicht als hegemonial-patriarchale Schutzbehauptung und als Selbstzweck.
Also, weißer Mann vor meinem inneren Auge: Wir brauchen dich nicht! Es ist nicht schwer, und es wäre auch nie schwer gewesen, eine Halle allein mit der frühen digitalen Kunst von Frauen* zu füllen. Wie plakativ. Wie befreiend!
Gleichzeitig ertappe ich mich dabei, den einzelnen Positionen nicht mehr die eingehende Betrachtung schenken zu können, die sie verdient hätten. Überstimulation setzt ein – und eine gewisse Frustration. Ich habe das Gefühl, zu wenig zu wissen über diese Künstler*innen und ihre Kunst, über ihre Geschichten und Gedanken, um das mir hier angebotene wirklich fassen, verstehen und einordnen zu können, zumal kaum Wandtexte die einzelnen Abschnitte markieren oder Informationen zu den Künstler*innen bieten. Es gibt so viel zu verarbeiten; so viele Fragen tauchen auf und bleiben unbeantwortet.
Und plötzlich verschwinden sowohl die Frauen* als auch die Kunst selbst in einer eigenartigen Unübersichtlichkeit; Ich sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Geht es um die Frauen* und ihre Kunst, oder geht es darum, dass auch sie – wer hätte es gedacht – digitale Technologien und Computer als künstlerische Werkzeuge genutzt haben? Setzt sie das den Männern gleich, oder liegt im „auch Frauen“ nicht doch wieder der weiße männliche Wissenschaftler und Künstler als Norm verborgen? Werden wir ihn jemals los?
Trotz derer Spannung zwischen Sichtbarkeit und Verständlichkeit steht es außer Frage, dass Michelle Cotton und ihr Team beachtliche Arbeit geleistet haben, um diese Ausstellung ins Leben zu rufen und eine bisher oftmals vernachlässigte Geschichte zu erzählen. Ein ambitionierter, fast schon euphorischer Ansatz feministischer Kunstgeschichtsschreibung und Kanonisierung, ermöglicht durch intensive Recherche, sorgfältige kuratorische Arbeit und Dokumentation. Vielleicht birgt Radical Software das Risiko, sich in seiner Fülle ein Stück weit zu verlieren – aber man verliert sich durchaus gern.
Laura Pattiss
Betritt mensch die Ausstellung Radical Software, gibt es zuerst viel zu lesen – notwendiges ‚Housekeeping‘, um die folgende Präsentation von über 40 Künstler*innen im Sinne der Kuratorin Michelle Cotton einzuordnen. Die Ausstellung will nicht weniger als die Geschichte computergenerierter Kunst erzählen: Von ihren Anfängen mit dem ersten Algorithmus, der 1843 von Ada Lovelace geschrieben wurde, bis zu Auseinandersetzungen zeitgenössischer Künstler*innen mit der ‚digitalen Revolution‘ ab den 1970ern. Markante Parallelen zu gegenwärtigen Diskursen über Künstliche Intelligenz drängen sich unausweichlich auf.
Es ist eine Geschichte, die sich anhand ihrer künstlerischen Erzeugnisse mühelos ohne Männer erzählen lässt – dennoch schlägt die Ausstellung damit in eine ungewohnte Kerbe. Technikgeschichte wird eng verwoben mit gesellschaftlichen und existenziellen Umwälzungen, die sich in ihr begreifen - bis heute sind die Protagonisten dieser Geschichte in den meisten Erzählungen männlich. Betritt mensch die Ausstellung Radical Software: Women, Art & Computing 1960–1991, wird es analytisch und das neu gewonnene Werkzeug Computer in seinen Kompetenzen ausgelotet. Da sind Arbeiten von Inge Borchardt, die 1966 etwa ausgehend von mathematischen Oszillatoren und Differenzialgleichungen geometrische Gebilde programmierte und zu Papier brachte, oder von Isa Genzken, deren Skulpturen computergenerierte geometrische Strukturen zugrunde liegen. Die Arbeitsweisen und Voraussetzungen der Künstler*innen unterscheiden sich fundamental: während Borchardt beruflich am Deutschen Elektronen-Synchrotron als Programmiererin tätig war und mit der Materie dahingehend vertraut, arbeitete Genzken für ihre Entwürfe interdisziplinär mit dem Physikstudenten Ralph Krotz zusammen. Der erste Ausstellungsraum wird akustisch von Alison Knowles Dot-Matrix-Drucker (The House of Dust, 1967) eingenommen: in regelmäßigen Abständen begleiten Piepen und Rascheln das Anwachsen des Papierstapels unterhalb des Geräts, das von seinem Sockel aus unermüdlich Daten ausgibt. Es handelt sich dabei allerdings um keine Messungen oder vorgegebenen Texte, sondern um Gedichte, die sich aus eingespeisten Fragmenten immer wieder neu zusammensetzen. Auch hier erweist sich frühe Computerkunst als Spielfeld der Interdisziplinarität – zog Knowles doch für die Realisierung des Werks den Komponisten James Tenney hinzu. Die maschinelle Produktion der Vierzeiler wirft Fragen auf, die unverändert in gegenwärtigen Diskursen gestellt werden: Sind Maschinen zu künstlerischen Leistungen fähig? Wer ist Urheber:in solcher Leistungen?
Die Ausstellung nähert sich technischen Neuerungen auch unmittelbar durch die Untersuchung ihrer Materialität und Ästhetik an, wenn etwa Ulla Wiggen Schaltkreise zum Gegenstand ihrer Gemälde (Oändligt variabel, 1968) macht. Bei Monique Nahas und Hervé Huitric werden hingegen Computerlochkarten zu Akteurinnen im Bild, wenn die Künstler:innen sie mit Gouache bemalen und auf einer Holzplatte anordnen (Untitled, 1971). Dadurch erzielen sie eine beinahe textile Optik, die – ganz ähnlich der Webkunst – keine Trennung in Bildträger und Malschicht mehr zulässt. Im oberen Stock der Ausstellung wird dieser Faden buchstäblich weitergesponnen. Die weiblich konnotierte textile Kunst wurde lange Zeit in der Kunstgeschichte vernachlässigt und innerhalb von Kunsthandwerk und Design als separat und minder betrachtet. Nun wird ihre Relevanz einmal mehr demonstriert – diesmal mit Blick auf die Technikgeschichte. Das erste binäre System zur Programmierung wurde 1837 von dem Mathematiker Charles Babbage für Webstühle entwickelt, um Muster maschinell herzustellen. Wie mithilfe von (selbst gelernten) Programmiersprachen komplexe Bilder in Webmuster übersetzt werden können, zeigt sich anhand der Textilarbeiten Charlotte Johannessons, anhand derer sie über die Bildsprache der Popkultur und Massenmedien reflektiert. Diese Überlegungen sind auch integraler Bestandteil der Oeuvres VALIE EXPORT und Dara Birnbaum, die etwa mit Wandinstallationen von technischen Gerätschaften und Found-Footage-Videomontagen der Massenmedien aufwarten. Überhaupt wird es im oberen Stock lauter, greller, mutiger. Die Digitalität und die kritische, aber auch spielerische Auseinandersetzung mit ihr halten mit dem Aufkommen des Home Computings Einzug in den eigenen vier Wänden. Kein Zugang zu Forschungsstätten und einschlägiges Wissen sind dafür mehr nötig und die gestalterischen Resultate mannigfaltig.
Die Flut an Sinneseindrücken, die dadurch über den Ausstellungsraum und die Besucher:innen hereinbricht, versinnbildlicht die Überladung der Gesellschaft mit neuen Möglichkeiten, Gefahren und Unsicherheiten durch das angebrochene „digitale Zeitalter“ . Das künstlerische Abtasten und Ausloten dieses Unbekannten wird unmittelbar nachvollziehbar, überfordert und inspiriert gleichermaßen angesichts einer neuen medialen Revolution.
Verlässt mensch die Ausstellung Radical Software, ist der Blick auf die Beziehung von Kunst und Technik ein anderer. Künstlerische Auseinandersetzung wird hier nicht als bloße Spielerei oder reine Reaktion, sondern zutiefst menschliches Mittel zur Bewältigung, Gestaltung und Interpretation tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen spürbar. Eine solche Erzählung der Technikgeschichte ist zweifellos radikal.
Marlene Lahmer
Radical Software: Women, Art, Computing 1960–1991 takes a look at the conditions and affordances of computer technology in the pre-internet period – specifically at how it influenced female* pioneers in art and technology in their taking of space and their use of tools and infrastructure. The exhibition makes one thing clear: there is a vast expanse of ground to cover in terms of historical reevaluation. And it takes its responsibility seriously to create a new female*-centered canon of the media history of the computer – with over 50 exhibited artists.
A timeline in the anteroom informs us that the word “computer” was first used in 1613 to refer to a person who “computes”, i.e. calculates something. My subsequent research reveals that one of the earliest uses of “computation” refers to astronomy, where it meant to calculate the trajectory of a celestial body. Astronomic computation is a field in which many advancements were made by female* researchers, such as Hortense Lepaud (France), Caroline Hershel (UK), Maria Mitchell (US) and later the Harvard Computers, a crew of women* who were hired by astronomer Edward Charles Pickering in the late 19th century to cartograph the stars based on new photographic images taken through the telescope at Harvard College Observatory. Browsing the history of computing on Wikipedia, sentences like, “W.F. Raphael Weldon, [...] worked with his wife, Florence Tebb Weldon, who was his computer.” indicate an instrumental and hierarchical relationship between scientist and computer. “Computer” seems to have been a job that lead to groundbreaking contributions in science and was often carried out by women* who were not always credited for their discoveries under the assumption that theirs was a diligent and studious assistant's task.
Taking the human computer as a starting point of the exhibition is a significant piece of context for some of the artworks. It lets us reflect on commonplace patriarchal imaginations of women*’s work being serviceable and instrumental rather than inspired by individual genius (the idea of ‘individual genius’ being arguably a patriarchal invention, too). Also, conflating female* subjects with the idea of (human) computers foreshadows new relationships between body and machine that hold a potential for dissent, glitch and self-actualisation. From the plethora of material and artistic positions presented in Radical Software, I formulate two questions thus:
How can these female* artists enter a history in which they are already contained? And then, how do they go beyond being contained there, beyond being instrumental?
How are their encounters with the world reconfigured through computer technology – and how does that, in turn, reconfigure them as subjects?
I turn to the exhibited works of Hanne Darboven, Deborah Remington, VALIE EXPORT, Lynn Hershman Leeson, and Rebecca Allen to find answers.
Hanne Darboven's work Ein Jahrhundert-ABC (“A Century ABC”, 1970-71) fills many square metres of wall space as we enter the exhibition. The work consists of 19 large panels, made of 42 A4 sheets each, filled with monotonous strokes, reminiscent of the tips of an electrocardiogram, that are identical but handwritten. Arguably, the artist uses a meticulously choreographed gesture of her body to create a computed score. It speaks of repeated action, (machine) reproducibility, the capturing of time studiously spent – and not least: of taking space with one’s creation and utterance.
Deborah Remigton’s oil painting Merthyr (1966) depicts an underground mining spot. It shows a fixture that drills into the ground and, at the same time, bears conspicuous resemblance to a gynaecological speculum or a uterus. The female* connoted organ gathers the notion of a penetrator here – it becomes an uncanny, potentially dangerous, robotic character, like a hybrid creature from a science fiction film. Remington uses the imagery of an electric machine to counter the docility of the female womb as a cavity, and, by extension, the long-traded image of woman as a vessel waiting to be filled. Instead, Remington grants the womb an agency that borders on the destructive and extractivist.
A Donna Haraway quote introduces a section of the exhibition dedicated to machine-like configurations of women*’s bodies: “I would rather be a cyborg than a goddess.”. It is taken from her seminal treatise, A Cyborg Manifesto (1985), whichthat aims to dissolve the so-perceived borders of the human (read gendered) body, animal and machine on which much of the humanist heritage in Western philosophical tradition is based. The quote places faith in emerging technologies to aid the emancipation and self-actualisation of those who inhaibit the cultural category woman*. The idea to create one’s own body through technology has continued significance in queerfeminist discourses today, and, in the exhibition, we can see how it has sparked empowered, monstrous images of femininity.
In her photographs Stand Up. Sit Down (1989) and Selbstportrait mit Stiege und Hochhaus (“Self Portrait with Stairs and Skyscraper”, 1989), VALIE EXPORT blows up the proportions of female* bodies and merges them with building fronts, i.e., architectural elements. At the time, EXPORT frequently worked with putting her own body into tension with existing city architecture and its patriarchal inscriptions. In these pieces, it is a taste for the megalomaniac that dominates the scene. Her protagonists radiate a nonchalant awareness of their potency.
The works of Rebecca Allen, a pioneer in digital animation and virtual reality, show what could not be seen on computer screens at her time. She addresses the absence of representations of female* bodies in the digital world. Swimmer (1981) is credited to be the first 3D animation of a female* body: on a vertically placed screen, a vague, illuminated female* figure dives downward against a black background. Girl Lifting Skirt (1974), on the other hand, is a line animation that shows a female*-identified body from knees to hips, with the protagonist lifting her skirt to reveal her garters below. In today’s world, where the internet and digital technologies have led to the commodification of female* bodies on an unprecedented scale, it is hard to imagine that there once was a fight for female* bodies to appear on screen at all.
Lynn Hershman Leeson used rather traditional artistic materials to imagine transformations and recreations of her own body. The painting X-Ray Woman (1966) shows the artist's interior body in which mechanical gear and organs interlace to constitute something like a ‘functioning machine’. What is interesting about this depiction is that we do not know whether it is a situation of exploitation /instrumentalisation or of self-chosen emancipation /empowerment. In Self Portrait as Another Person (1965), the artist cast a counterfeit of her face from wax, equipped it with a wig and red lipstick to make the bust look like a ‘proper woman’, and placed a sound recorder below it on which her voice asks the visitor intimate questions. The work description informs us that the work caused such an outrage when first exhibited that it was taken down within 24 hours. I wonder what had offended the audience so much. Showcasing the technical reproduction (and thereby the constructedness) of a serviceable, tender human being who tries to coax an emotional response? Today, fantasies and actualisations of android machines posing as humans are omni-present, but at the time, a Frankenstein-esque border seems to have been crossed. The question resonates with Donna Haraway's liquidation of definitions that safely put us in the realm of the human or non-human.
I glance one last time at giant VALIE on a building facade and at Lynn’s guts full of cogwheels. It seems these machine-body -representations have stepped away fromquite being serviceable and obeying the patriarchal expectations inscribed on them. The exhibition reminds us that the role of computer technology (in the broadest sense) in pivoting dissident female body images should not be underestimated.
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